Moral und die Natur des Menschen

Heute wird’s grooß und moraaaalisch in der Wissensküche. Und das Ganze in Form einer Buchrezension und der Empfehlung eines Blogs, das mich daran erinnerte sie zu schreiben.

Vorgestern entdeckte ich bei Laborjournal online nämlich zufällig, dass einer ihrer neuen, freien Autoren, Hans Zauner, auch einen Wissenschaftsblog betreibt – Panagrellus. Freu mich immer über solche Neuentdeckungen, denn es gibt gar nicht so viele deutschsprachige Biologen, die bloggen. Bin natürlich gleich hin, hab rumgestöbert und gelesen. Wer’s noch nicht kennt: schaut mal vorbei. Er sucht auch gerade Tipps, welche Naturkunde-Museen in Deutschland ein Reise wert sind.

Ich hab mir dort auch die Inspiration geholt, über ein Thema zu schreiben, dass mich schon länger beschäftigt. Kam wieder drauf über einen gedanklichen Nebenstrang in Zauners Rant über eine neue Hypothese zur evolutionären Entstehung der Menopause und der Debatte darüber. Er warnt in seinem Text nämlich nachdrücklich davor, die Erkenntnisse irgendeiner evolutionsbiologischen Studie als Entschuldigung für Macho-Allüren oder Schlimmeres zu nehmen. Zitat:

Jetzt könnte man  spekulieren, ob auch im Menschen Ansätze ähnlicher Verhaltensmechanismen genetisch angelegt sind. Aber nur besonders idiotische Machos folgern daraus, dass es deshalb ok sei, wenn ein Vater seine Stiefkinder vernachlässigt; oder dass es natürlicherweise Aufgabe der Frau sei, dem Mann rechtzeitig vor Beginn der Sportschau Pantoffeln und Bier zu bringen.

Was er da so schön anschaulich darstellt, nennt sich naturalistischer Fehlschluss. Er besagt, dass man nicht vom Sein auf’s Sollen schließen darf. So beliebt die Argumentation bei vielen Leuten auch ist: Aus der Tatsache, dass etwas in unserer Geschichte schon oft vorgekommen ist, kann man nicht ableiten, dass es erstrebenswert ist. Und wenn etwas nicht nur beim Menschen, sondern auch bei Tieren zu beobachten ist (und demnach natürlich ist), folgt daraus auch nicht, dass es gut und richtig ist. Die Natur des Menschen kann keinerlei Art von moralischer Rechtfertigung liefern.

Eine interessante Ausweitung dieses Gedankens fand ich neulich in Norbert Bischofs Buch Moral: Ihre Natur, ihre Dynamik und ihr Schatten*
. Er stellt dort einen anderen Denkfehler vor, eine Art Gegenstück zum naturalistischen Fehlschluss. Er nennt ihn den moralistischen Fehlschluss. Dieser liegt vor, wenn man – quasi als Umkehrung – eine mögliche Naturgegebenheit von etwas leugnet oder von vornherein ausschließt, weil man fürchtet, etwas eigentlich Verwerfliches  sonst zu legitimieren. So nach dem Motto: Weil nicht sein kann, was nicht sein darf.

Folgendes Zitat von Bischof erklärt es ganz schön:

Wer also beispielsweise Frauen und Männern unter Berufung auf ihre naturgebene Verschiedenheit unterschiedliche Rechte einräumen bzw. vorenthalten möchte, begeht einen naturalistischen Trugschluss. Würde man jedoch unter der Berufung auf ihre Gleichberechtigung ihren natürlichen Unterschied leugnen, so liefe dies auf den moralistischen Trugschluss hinaus.

Das kennt man auch, oder? Mir jedenfalls kam die Argumentation des moralistischen Trugschlusses sogar noch bekannter vor und sie fällt mir seither auch ständig und überall auf. Was übrigens etwas über mein Umfeld und seine politische Orientierung aussagen könnte, wenn man Bischof glaubt. Zumindest meint er erkannt zu haben, dass

im rechten Lager eher der Trugschluss vom Sein aufs Sollen, im linken eher vom Sollen aufs Sein üblich zu sein pflegt.

Das trifft es auch erstaunlich gut, finde ich. Wenn ich drüber nachdenke, kennt das jeweilige Gegenlager den Trugschluss der Anderen immer sehr gut. Anhänger von Schwarz-Gelb sehen sehr deutlich den Fehlschluss der Linken, denen sie ja gern vorwerfen, die Realitäten zu verleugnen. Für ihren eigenen Trugschluss (den naturalistischen) sind sie dagegen weitgehend blind. Andersrum gilt das genauso. Rot-Grün-Wähler regen sich furchtbar auf über konservative Weltbilder, die aus dem Natürlichen und Gottgegebenen irgendwas herleiten wollen. Dass sie’s mit ihrem eignen Trugschluss (dem moralistischen) oft kein Deut besser machen, merkt kaum einer. So hat jeder ein bisschen recht und doch reden alle aneinander vorbei.

Als Alternative zu diesen zwei Trugschlüssen stellt Bischof einen dritten Weg vor, den er den empiristischen nennt. Bei diesem werden Erkenntnisse zur Natur des Menschen sauber getrennt von der Moral behandelt. Denn:

Es führt keine logische Brücke über die Kluft zwischen beiden Sinnbereichen.

Daraus kann man aber nicht folgern, dass sich die Moral nicht um die Tatsachen und die Tatsachen nicht um die Moral scheren können. Im Gegenteil! Es ist auch und gerade für Fragen der Moral entscheidend etwas über die Natur des Menschen zu wissen. Wird z.B. ein bestimmtes Verhalten als wünschenswert angesehen, ist es doch sehr nützlich zu wissen, unter welchen Rahmenbedingungen dieses Verhalten am ehesten auftritt, eben um dieses fördern zu können. Genau so nützlich ist die Kenntnis der menschlichen Natur, wenn man die Bedingungen vermeiden will, die die Wahrscheinlichkeit unmoralischen Handelns erhöhen.

Und damit sind wir bei der Frage der Determiniertheit, die in Zauners Artikel auch eine große Rolle spielt. „Wir sind nicht Sklaven unserer Gene!“ ruft er aus, worauf  Kommentator Wolfgang etwas zerknirscht antwortet, dass ihm wohl klar ist, dass seine Natur als Mann ihn nicht zwinge etwas Bestimmtes zu tun, ihm aber trotzdem die Frauen in den Miniröcken sehr wohl gefallen und er sich gedrängt fühle sie anzuschauen. Und dass er erst ein gewisses Alter erreichen musste, um weniger zwangsläufig solchen „niederen Triebe“ zu folgen.

Sind wir also doch Sklaven unserer Gene? Nur nicht ganz so zwangsläufig? Wie determiniert sind wir wirklich? Ich hatte für mich ja schon versucht Frieden zu schließen mit dem komischen Verhältnis zwischen meiner Natur und der bedingten Freiheit meines Willens  (Warum ich frei bin, obwohl mein Hirn mich steuert), aber Bischofs Psychologen-Sicht der Dinge fand ich dann doch noch mal richtig bereichernd  (ja, ihr seht schon, ich bin Fan… ;-)). Zitat:

Damit ist nicht in Abrede gestellt, dass der Einzelne souverän mit Optionen spielen kann. Er fühlt sich in der Regel durchaus frei zu tun, was er will. Wenn er aber ehrlich ist, wird er bemerken, dass ihm die zur Wahl stehenden Alternativen unterschiedlich leicht fallen und in unterschiedlichem Ausmaß Spaß machen. Er wird nur selten das Gefühl haben, dass Wege, die er einzuschlagen sucht, ihm von Natur aus versperrt sind; aber sie sind unterschiedlich steil.

Das habe automatisch die Konsequenz, dass die natürliche Motivdynamik – zumindest wenn man Gruppen betrachte – doch verlässlich durchschlage. Aber was heißt das? Eh‘ alles für die Katz? Nein. Der Mensch sei durchaus zugänglich für hochwertige Ziele, meint Bischof, ABER

wenn man will, dass er sich diese wirklich zu eigen macht, dann muss man sie ihm auf eine Weise nahebringen, die seine Natur in Rechung stellt. Und die liegt nicht an allen Stellen offen zu Tage, man muss sie erstmal erforschen.

Und genau das tut Bischof auf den nächsten fast 500 Seiten – die Natur des Menschen erforschen. Sehr kenntnisreich verbindet er Wissen aus Psychologie und Philosophie, Biologie und Anthropologie zu einer – zumindest mir – ganz neuen Sicht auf die Natur des Menschen und die Frage der Moral. Einer Sicht, die für mich sogar das Potenzial hat, die scheinbaren Gegensätze und das nervige Aneinander-Vorbeigerede von rechtem und linkem Lager oder auch zwischen Geistes- Sozial- und Naturwissenschaften aufzulösen.

Das klingt groß, oder? Woaaaah… die Antwort auf alle Fragen… 😉 Kommt jetzt also zwangsläufig die klare Kaufempfehlung für das Buch, mit der Überleitung zu meinem neuen Werbeblock?… Nicht ganz. Denn ich noch muss zwei Warnungen aussprechen:

  1. ist das Buch nicht ganz einfach zu lesen. Die Fachbegriffs-Dichte ist hoch und zwar aus allen genannten Disziplinen. Es ist sehr dicht und intensiv und das auf 500 Seiten. Manchmal habe ich nur einen Absatz oder eine Seite gelesen und fand, da steckte schon mehr neu Gedachtes und tief Analysiertes drin als bei anderen Texten im ganzen Buch.
  2. muss ich auch vor dem warnen, was mir das manchmal anstrengende Mitdenken eigentlich versüßte. Denn die häufigen akademischen Lästereien sind vielleicht auch nicht für jeden was. Auf fast jeder Seite finden sich deutliche Spitzen gegen die Theorien und Gedanken Anderer. Ich geb’s zu: es amüsierte mich. Es sind eloquente, zum Teil aber echt vernichtende Urteile. Solche, die nur jemand liefern kann, der nicht nur genial und radikal ehrlich ist, sondern auch seeehr von sich überzeugt. So Dr. House-mäßig. Für mich als Leserin war es ein Spektakel, wobei ich aber wahrscheinlich heulen würde, wenn er MICH im intellektuellen Schlagabtausch so herunterputzen würde. Ein zwiespältigen Vergnügen also, das man mögen oder zumindest tolerieren muss.

So. Und weil ihr jetzt nicht mehr sagen könnt, ich hätte euch nicht gewarnt, folgt er jetzt also doch, mein Werbeblock:

—WERBUNG—

Norbert Bischof
Moral – Ihre Natur, ihre Dynamik und ihre Schatten
Böhlau Verlag
2012
ISBN-10: 3412208930
ISBN-13: 978-3412208936
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2 Gedanken zu „Moral und die Natur des Menschen“

  1. Der Artikel ist mir ja bisher völlig entgangen – darf ich so spät nach Erscheinen überhaupt noch kommentieren? (:

    Sehr interessant und ausgewogen – und Danke natürlich für die Werbung!

    Wenn Bischof sagt…
    „im rechten Lager eher der Trugschluss vom Sein aufs Sollen, im linken eher vom Sollen aufs Sein üblich zu sein pflegt.“

    Dann stimmt das auch in etwa mit meiner Erfahrung überein. Aber mehr noch: Ich finde, vom Sollen aufs Sein zu schliessen, ist etwas weniger problematisch als andersherum – und oute mich so wahrscheinlich als Linker. Utopien können auch Ansporn sein, an scheinbar unumstößlichen Umständen zu rütteln. Vielleicht kann man das Sein ja doch mehr beeinflussen, als man denkt.

    (Am besten ist natürlich rationaler Realismus ohne jede Ideologie -aber was das ist, erkennt man selbst ja schwer.)


    Deine Buchrezensionen find ich prima! Ich würde selber auch gerne öfter über Bücher bloggen, aber vor lauter Museen-besuchen komme ich zur Zeit zu wenig zum Lesen…

  2. Oja, du warst fleißig auf deiner Sommerreise. Hab ich interessiert verfolgt! Siehste, da wollte ich doch auch noch kommentieren… Was den anderen Fehlschluss angeht, weiß ich genau, was du meinst. Vom Sollen aufs Sein zu schließen klingt für links sozialisierte Ohren nicht nur harmloser, sondern was viele Themen angeht geradezu erstrebenswert. Ging mir bis vor kurzem auch so. Da denkt man: Was soll schlimm daran sein, den Menschen tendenziell für besser zu halten als er ist? – Aber ich bin mir da gar nicht mehr so sicher. Denn dieser Fehlschluss führt nicht unbedingt dazu, dass Menschen nach einem Ideal streben, das sie vielleicht nie ganz erreichen, sondern ebenso häufig zu einer gefährlichen Spaltung zwischen einem Kopf, der sich völlig mit dem Ideal identifiziert und einem Bauchgefühl, dass wahrnimmt, dass die Realität doch anders aussieht. Es muss viel geleugnet werden, wenn nicht sein darf, was nicht sein soll. Das kann dem Erreichen des Ideals sogar abträglich sein. Jedenfalls bin ich neuerdings der Meinung, dass es doch psychisch gesünder ist, sich eine Realität eingestehen zu dürfen, die (noch) nicht so ideal ist.

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