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Artikel, Interviews und Diskussionsbeiträge – Rückschau 2018

Einiges von dem, was ich in den letzten Monaten anderswo geschrieben oder gesagt habe, war sicherlich auch interessant für Wissensküche-Leser und -Leserinnen. Oder besser gesagt: Es wäre interessant gewesen. Denn ich denke viel zu selten daran, auch hier einen Link und Teaser zu posten. Auch in den Social Media-Kanälen der Wissensküche teile ich die Beiträge nur sporadisch.

Deshalb habe ich die Links und Medien zum Jahresende noch mal alle zusammengefasst. Es ist ein Rückblick auf 25 Texte, 3 Audio-Auftritte und ein Video – und zwar in umgekehrter Reihenfolge, nach Monaten sortiert. Ich habe ein paar Themen weiterverfolgt, die mich schon länger beschäftigen. Aber die meisten Beiträge sind im Zusammenhang mit meinem Engagement bei der Humanistentruppe von Kortizes entstanden. Ich habe dieses Jahr aber nicht nur über die meisten unserer Veranstaltungen berichtet, sondern war zum Teil selbst an Diskussionen beteiligt. Auch entstanden erstmals einige hpd-Berichte nach dem Besuch von Events anderer Veranstalter.

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Statt Kutschera: Über Güntürkün, Bischof-Köhler & die Notwendigkeit einer progressiven Beschäftigung mit Geschlecht, Verhalten & Biologie – Feminismus vs. Biologie? (3)

In einem erstaunlich einflussreichen Teil des progressiven Lagers meint man zu wissen, dass biologische Geschlechtsunterschiede im Verhalten nichts weiter sind als politisch motivierte Halluzinationen vom rechten Rand. Der einzige Grund sich mit biologischen Ursachen von Verhaltensunterschieden zwischen Frau und Mann zu beschäftigen – so glaubt man – ist eine reaktionäre Weltsicht und der Wunsch, sozialen Fortschritt zurückzudrehen – etwa die Erfolge der Frauenbewegung oder die Emanzipation der LGBTs.

Nun ist es – wie immer bei Vorurteilen – natürlich so, dass sich Individuen finden lassen, die sie zu bestätigen scheinen. Und für das biophob-linke Lager ist es Professor Ulrich Kutschera, der ihnen den Gefallen tut, ihre Ressentiments geradezu ideal zu verkörpern. In Teil 1 und Teil 2 meiner kleinen Serie über Biologie und Feminismus konnte ich, denke ich, deutlich machen, dass er es mit seiner konservativen Panikmache durchaus schafft auch mich auf die Palme zu bringen.

Doch sind Kutscheras anti-linken Gefühlswallungen repräsentativ für alle, die über die biologische Komponente von Geschlechtsunterschieden reden und forschen wollen? Verbindet sich ein Interesse an Biologie, Geschlecht und Verhalten immer mit einer Ablehnung progressiver Ziele?

Nein, natürlich nicht! Ich würde sogar behaupten, dass man an diesem Vorurteil nur festhalten kann, wenn man jeder Begegnung mit realen Forscherinnen und Forschern auf diesem Gebiet konsequent aus dem Weg geht. Wenn man sie dämonisiert und meidet.

Doch nicht mit mir! Ich möchte die Aufmerksamkeit hier auf die beiden biophilen Psychologie-Professoren Onur Güntürkün und Doris Bischof-Köhler lenken. Sie sind für mich Beispiele nicht nur dafür, dass sich das Interesse und die wissenschaftliche Beschäftigung mit biologischen Ursachen für Geschlechtsunterschiede offensichtlich sehr gut mit sozialer Offenheit und emanzipatorischen Gedanken verträgt, sondern auch dafür, dass das Wissen über die biologischen Aspekte besonders von jenen dringend benötigt wird, die progressive Ziele erreichen wollen. Denn gerade wer gesellschaftlich etwas ändern will, muss doch die Ursachen der kritisierten Verhältnisse genau kennen.

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Rezension: Über Kutscheras & Meyers politische Weltsicht und die Notwendigkeit offener Debatte – Feminismus vs. Biologie? (2)

Nach meinem durch die Linné-Debatte ausgelösten Artikel für das Laborjournal, möchte ich das Thema Feminismus vs. Biologie hier im Blog fortführen und endlich die Rezension der Bücher von Meyer und Kutschera nachholen. Denn „Adams Apfel und Evas Erbe“ und „Das Gender-Paradoxon“ warteten jetzt ein ganzes Jahr auf meinem Schreibtisch darauf, besprochen zu werden.

Ich hatte mich ursprünglich auf die Bücher gefreut, weil mich als Linksliberale und Biologin schon lange stört, dass sich feministische Ziele mit einer ausgeprägten Biologiefeindlichkeit verbunden haben. Doch in den Büchern der beiden Biologen  wartete für mich ebenfalls Enttäuschung. Und ich wusste lange nicht wie ich damit umgehen sollte.

Denn natürlich sind die biologischen Fakten wichtig, aber ich empfand Meyers Ansichten darüber hinaus als rechtsliberal einseitig und Kutscheras Buch als ein konservativ-apokalyptisches Polemikgestrüpp. Und der Doppelfrust über biologieverleugnende Feministinnen und Feminismus-verachtende Biologen senkte meine Motivation mich dazu zu äußern letztes Jahr drastisch.

Doch ich konnte das Thema auch nicht ad acta legen und es quälte mich. Aber inzwischen denke ich, dass die Auseinandersetzung damit mich weitergebracht hat. Sie diente der Klärung, wo ich selbst stehe in der Beurteilung des Konflikts zwischen Feminismus und Biologie. Oder in dem Fall eher: Wo ich nicht stehe.

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Mein LJ-Artikel: „Vom Feminismus geächtet, vom Rechtspopulismus umarmt“ – Feminismus vs. Biologie? (1)

Ich habe für die aktuelle Ausgabe des Biologenmagazin Laborjournal über die Rolle der Biologie in der Geschlechterdebatte geschrieben. Anlass ist die Aufregung um ein Zusatzschild für die Freiburger Linnéstraße, das bundesweit für Kommentatoren rechts der politischen Mitte zu einem Symbol genderfeministischer Gefahr geworden ist.

Ich ergründe in dem Artikel, warum Carl von Linné Sexismus vorgeworfen wird und ob das aus biologischer Sicht gerechtfertigt erscheint. Außerdem plädiere ich dafür, sowohl die Bewertungen von linken Feministinnen mit Vorsicht zu genießen wie auch die der selbsternannten Wissenschaftsverteidiger rechts der Mitte:

Vom Feminismus geächtet, vom Rechtspopulismus umarmt

Beim Thema Geschlecht/Gender herrscht eine ungesunde politische Polarisierung. Sollte sich die Biologie gegen die Unterstellungen einer biophoben linken Ideologie wehren? Ja! Aber bitte ohne sich blind von rechts der Mitte vereinnahmen zu lassen. Weiterlesen –>> im Laborjournal-Heft 2017-05, S. 16 oder in der E-Paper-Ausgabe

Dies ist zugleich der erste Beitrag der geplanten Blog-Serie „Feminismus vs. Biologie?“

Humanistischer Salon Nürnberg – mein Engagement für & meine Artikel über die Veranstaltungsreihe

Heute möchte ich nachholen, was ich schon länger vorhatte, nämlich endlich auch hier im Blog den Humanistischen Salon Nürnberg vorstellen, für den ich mich seit einigen Monaten engagiere.

Als ich im letzten Sommer von der Existenz der Gruppe erfuhr, die die Vorträge, Lesungen und Diskussionen plante, wollte ich ursprünglich über ihre Gründung und die Vorgeschichte schreiben. Nach ein, zwei Treffen war aber klar, dass es auch spannend wäre, stattdessen am Projekt mitzuarbeiten.

Ich war mir sicher: Wenn diese Gruppe zu Events rund um „Wissenschaft, Philosophie und weltlichen Humanismus“ einlädt, dann werden mich nicht nur die Themen interessieren, sondern auch das Drumherum wird so gestaltet sein, dass sich Veranstalter, Referenten und das Publikum wohlfühlen. Humanistischer Salon Nürnberg – mein Engagement für & meine Artikel über die Veranstaltungsreihe weiterlesen

Glaube & Wissenschaft in Konflikt? Rezension zweier christlicher Kinderbücher über Evolution

Im heutigen, dritten Teil meines Rezensionsmarathons bis zum Welttag des Buches möchte ich zwei Kinderbücher vorstellen, die sich zwar beide aus religiöser Perspektive mit dem Thema Evolution beschäftigen, trotzdem aber unterschiedlicher nicht sein könnten:

„Das Buch vom Anfang von allem“ repräsentiert ganz schön die Haltung der liberalen christlichen Theologien, die sich um friedliche Koexistenz mit der Evolutionsbiologie bemühen. Der Schlunz und der geheimnisvolle Schatten  dagegen ist aus evangelikaler, bibeltreuer Position heraus geschrieben, die in Sachen Evolution in offener Opposition zur Wissenschaft stehen. Glaube & Wissenschaft in Konflikt? Rezension zweier christlicher Kinderbücher über Evolution weiterlesen

Müssen wir Placebo-Medizin wie die Homöopathie bekämpfen?

Dieser Text erschien im Februar 2016 im gemeinsamen Nachrichten-Portal von web.de, gmx und 1&1. Weil der Blogbereich dort jedoch im April 2018 eingestellt wurde, gibt es den Beitrag jetzt hier im Volltext (vorher waren hier nur Teaser und Link).

Während die einen schwören, Homöopathie habe ihnen schon unzählige Male geholfen, ist sie für die anderen eine esoterische Pseudomedizin. Unmöglich, dass beide Seiten Recht haben, oder?

Ich will ehrlich sein. Ich persönlich kann mit der Homöopathie nichts anfangen. Die Theorie dahinter ist pseudowissenschaftlich. Klinische Studien zeigen immer wieder, dass die Wirkung der Kügelchen nicht über die von Placebos hinausgeht. Und wenn
Freundinnen ihre Homöopathen loben, klingt es in meinen Biologen-Ohren wie das Schwärmen für einen schamanistischen Alchemisten.

Eigentlich sollte mich das zu einer natürlichen Verbündeten des neu gegründeten Netzwerkes Homöopathie machen, die der Alternativmedizin-Richtung gerade medienwirksam den Kampf angesagt hat und über ihre Unwirksamkeit aufklären will.
Aber – und das wird jetzt einige überraschen: Ich denke nicht, dass meine Freundinnen sich die homöopathische Wirkung nur einbilden. Die ist durchaus da. Ja, ich bin sogar davon überzeugt, dass sie bei ihren Homöopathen etwas bekommen, das im Rest des  Gesundheitssystems oft schmerzlich fehlt. Etwas, wovon sich Ärzte im Allgemeinen einScheibchen abschneiden sollten.

Wer sich gerade verärgert fragt, wie um alles in der Welt diese beiden Aussagen zusammenpassen sollen, ist wahrscheinlich in bester Gesellschaft. Denn wie kann etwas gleichzeitig esoterischer Blödsinn und wertvolle Medizin sein? Das geht doch nicht, oder?
Doch, das geht. Und um das zu verstehen, muss man sich nur die Erkenntnisse der Placebo-Forschung anschauen.

Placebos wirken durchaus

Denn was bedeutet es, wenn wir sagen, etwas sei ein Placebo? Viele denken ja, ein Placebo zu bekommen sei gleichbedeutend damit, gar nicht behandelt zu werden. Wissenschaftsbasierte Medizin muss schließlich in klinischen Studien beweisen, dass sie wirksamer ist als die Placebo-Behandlung. Das nährt das Vorurteil, Placebos seien etwas Wirkungsloses. Aber das stimmt nicht.

In Studien, in denen eine echte Behandlung und eine Placebo-Behandlung zusätzlich noch mit einer Nicht-Behandlung verglichen werden, zeigt sich, dass es den Placebo- Behandelten besser geht als den Nicht-Behandelten. Und zwar nicht nur in ihrer subjektiven Wahrnehmung, sondern auch nach objektiv nachweisbaren Kriterien.

Das, mit was behandelt wurde, mag zwar ein Nichts sein, die Reaktion auf dieses Nichts ist aber sehr real. Denn auch Gedanken, Gefühle und Erwartungen können bei Menschen
über Nerven und Hormone Prozesse anstoßen, die messbare Änderungen in ihrem Körper bewirken.

Inzwischen kommt man auch nicht mehr um die wissenschaftlich abgesicherte Erkenntnis herum, dass dieser Placebo-Effekt schon immer ein Teil ganz normaler medizinischer Behandlungen ist. Auch wenn wir unsere Blutdrucktabletten nehmen, etwas gegen die Schmerzen schlucken oder die Pillen gegen Parkinson, beruht die Wirkung nicht allein auf dem direkten Effekt der Arznei-Moleküle auf unsere Körperchemie, sondern zusätzlich auf dem psychologisch vermittelten Effekt, den wir selbst bei uns auslösen – dem Placebo-
Effekt.

In nichts zeigt sich die Bedeutung des Placebo-Effekts für die allgemeine medizinische Praxis für mich deutlicher als in dem Unterschied, den es macht, wenn Krankenhaus- Patienten am Tropf Medikamente im wachen Zustand oder in Schlaf/Narkose  bekommen. Natürlich wirken echte, pharmazeutische Mittel auch, wenn die Patienten ohne Bewusstsein sind. Aber sie wirken messbar stärker, wenn die Patienten mitkriegen, dass sie sie erhalten haben.

Obwohl es Stand der Forschung ist, dass medizinische Behandlungen generell auf zwei verschiedene Arten wirken, wird die psychologische Komponente im Gesundheitssystem aber oft nicht systematisch genutzt.

Psychologische Unterstützung hängt vom Arzt ab

Nach meiner Erfahrung ist es schon Glückssache, ob man an einen menschlich inkompetenten Holzklotz von Arzt gerät oder ob man bei jemandem landet, der das Gespräch mit Patienten zu nutzen versteht, um Vertrauen aufzubauen und Zuversicht in den Erfolg der geplanten Therapie zu vermitteln. Es ist also Zufall, ob man den psychologischen Boost kriegt, den eine gelingende Patienten-Arzt-Beziehung zusätzlich zur pharmazeutischer Wirkung auslöst.

Zudem gilt es unter wissenschaftsbasierten Medizinern meist als ethisch nicht vertretbar, Patienten reine Placebos zu geben. Wenn sie meinen, man könnte von einer Placebo- Behandlung profitieren, greifen sie daher höchstens zu harmlosen Medikamenten, von denen sie sich in dem Fall aber weniger eine Arznei-, als vielmehr eine Placebo-Wirkung versprechen.

Aber auch über die Anwendung solcher sogenannten Pseudo-Placebos wird eher verschämt unter der Hand geredet.
Ich denke, so lange der Umgang mit dem Placebo-Effekt in der modernen, medizinischen Praxis noch so unzuverlässig genutzt wird, werden es immer Alternativmediziner sein, die diese Lücke füllen.

Zwar haben Homöopathen vom Naturwissenschaftlichen her gesehen nichts zu bieten. Trotzdem scheinen sie mit ihrer windigen, 200 Jahre alten Pseudowissenschaft den Placebo-Effekt weit systematischer zu nutzen als das die normale Ärzteschaft sonst tut.

Meiner Meinung nach schreit das nicht nach einem wütenden Kampf gegen die Homöopathie, sondern sollte eher dazu anstacheln, die psychologische Dimension des Heilens endlich auch im normalen medizinischen Alltag konsequent umzusetzen. Damit
auch Menschen wie ich, die ihre Medizin gerne wissenschaftsbasiert halten, davon profitieren können.

„Genfood“: Wo kann ich gentechnisch veränderte Lebensmittel kaufen?

Peanut_butter_cups - 1
Im Gegensatz zu unseren Süßigkeiten enthalten die für den US-Markt produzierten meist gentechnisch veränderte Zutaten. Auch diese Peanut Butter Cups von Reese’s.

Letztens stolperte ich in einem Forum über die Frage einer Schülerin: „Wo kann ich noch schnell Genfood mit Kennzeichnung kaufen? Brauch‘ für mein Biologie-Referat über Gentechnik morgen noch Anschauungsmaterial. “

Weil erstaunliche 100% der Antworten, die sie bekam, falsch waren, und es sicher immer wieder Leute gibt, die das gleiche Problem haben, dachte ich, stelle ich mal ein paar Fakten zusammen:

Darf „Genfood“ verkauft werden?

Ja. Produkte, die gv-Pflanzen enthalten, dürfen normal im Handel vertrieben werden. Voraussetzung ist nur,

  • dass die gv-Sorte als Lebensmittel in der EU zugelassen ist und,
  • dass auf der Packung vermerkt ist, dass Zutaten von gentechnisch veränderten (gv-) Pflanzen stammen.

Warum ist dann immer von „Genfood“ die Rede, das nicht gekennzeichnet ist?

Lebensmittel, in denen gv-Pflanzen drin sind, müssen immer gekennzeichnet werden. Das kann und wird auch überprüft. Und wer sie nicht kennzeichnet, verstößt gegen das Gesetz.

Nicht gekennzeichnet werden muss Milch und Fleisch von Tieren, die gv-Pflanzen zu fressen bekommen haben. Das hat einen einfachen Grund: An der Milch oder dem Fleisch selbst kann man im Zweifel nämlich gar nicht nachweisen, ob dieses Tier nun gv-Pflanzen im Futter hatte oder nicht.

Warum habe ich im Laden noch nie gv-Kennzeichnung gesehen?

Obwohl es erlaubt ist, es zu verkaufen, führen nur wenige kennzeichnungspflichtiges „Genfood“. Die Schülerin wird es also schwer gehabt haben, solche Lebensmittel bis zum nächsten Tag aufzutreiben. „Genfood“: Wo kann ich gentechnisch veränderte Lebensmittel kaufen? weiterlesen

Ist Wissenschaft hart und kalt?

Dieser Text erschien im Mai 2015 im gemeinsamen Nachrichten-Portal von web.de, gmx und 1&1. Weil der Blogbereich dort jedoch im April 2018 eingestellt wurde, gibt es den Beitrag jetzt hier im Volltext (vorher waren hier nur Teaser und Link).

Es war noch in der Schulzeit als mir der Vorwurf zuerst begegnete: „Du mit deinen wissenschaftlichen Erklärungen immer“, sagte meine Freundin und verdrehte die Augen, „die machen die Welt so kalt und trostlos.“

Ich fragte mich: Ist es für sie umgekehrt? Ist die Welt für sie nur schön, solange sie nicht weiß, wie sie funktioniert? Das überraschte mich.

Heute – mehr als 20 Jahre später – weiß ich, dass ich damals die falschen Schlüsse zog. Meine Freundin lehnte nicht das Wissen an sich ab. Ihr erschien die naturwissenschaftliche Art des Wissens nur abstoßend unvollständig. Es fehlte ihr in den Erklärungen von Physik
oder Biologie einfach etwas Entscheidendes. Und sie ist nicht die Einzige, der es so geht.

Ich verstehe inzwischen, was das ist. Ja, mehr noch, seitdem mir klar geworden ist, was die Leuten da eigentlich vermissen, stimme ich ihnen sogar zu: Ja, es fehlt etwas in den Naturwissenschaften. Der Unterschied ist nur: Ich bewerte das anders. Für mich ist es
sogar ein Vorteil und kein Nachteil.

Es ist doch so: Alles, was wir Menschen uns erzählen und auch jede Geschichte, die wir in Buch, TV oder Zeitung sehen oder lesen, hat immer beides drin – Fakten und ihre Bewertung für unser Leben. Meist werden beide als untrennbar verbunden wahrgenommen, obwohl sie es tatsächlich gar nicht sind. Und darum geht es.

Nehmen wir mal an, eine Freundin stellt überrascht fest, dass sie schwanger ist und spricht mit mir darüber. Ganz kurz wird es bei dem Gespräch darum gehen, ob sie das wirklich sicher weiß, etwa mit einer Rückfrage von mir: „Hast du einen Schwangerschaftstest
gemacht?“ Wenn sie das bejaht, wird es aber um viel bedeutsamere Fragen gehen: „Wie ist das passiert? Freust du dich? Ist es von jemandem, mit dem du dir eine gemeinsame Zukunft vorstellen kann?“

Moralischer Kompass gesucht

Ich sage „bedeutsamere Fragen“, weil sie mit Recht irritiert wäre, wenn ich in so einer Situation nur über den Schwangerschaftstest selbst reden würde und nicht über die anderen, für sie lebensverändernden und emotional entscheidenden Fragen. Als Freundin kann sie erwarten, dass ich mich vor allem dafür interessiere, welche Bedeutung die Nachricht für ihr Leben hat.

Es wäre merkwürdig kalt, wenn ich angesichts ihrer Lage ausschließlich darüber reden würde, dass in ihrem Urin das Hormon hCG messbar ist und dass dieses nur von Plazentagewebe und Embryos gebildet wird und wie interessant das ist.

Denn natürlich sind die reinen Sach-Informationen eine leere Wüste für sie, wenn sie sich über ihre Gefühle im Unklaren ist oder einen moralischen Kompass sucht. Sie helfen ihr nicht herauszufinden,
was der Sinn ihres Lebens ist oder welche ihrer persönlichen Ziele sie verfolgen sollte.

Aber: das ist ja auch nicht ihr Job!

Bei der Beantwortung der allermeisten Fragen, die eine Frau beschäftigen, wenn ihre Regel ausbleibt, helfen ihr die letzten Jahrhunderte biomedizinischer Fortpflanzungsforschung natürlich rein gar nicht. Weil es dann eben vor allem um persönliche und gesellschaftliche Dinge geht. Aber diese Themen fallen ja auch nicht in den Aufgabenbereich der Naturwissenschaft. Ihr Wissen ist erstmal nur für eine einzige, kleine Auskunft nützlich, nämlich für eine Antwort auf die Frage: Bin ich schwanger oder
nicht?

Natürlich gibt es Fragen, da kann jeder für sich selbst rausfinden, was die Fakten sind. Für andere aber brauchen wir die Wissenschaft. Und das ist so eine. Wenn eine Frau in einem frühen Stadium rausfinden will, ob sie schwanger ist, kann sie das nur mit Methoden
feststellen, die aus naturwissenschaftlicher Forschung heraus entwickelt wurden.

Schwangerschaftstest beantwortet nur Sachfrage

Und es kann niemand bestreiten, dass eine eindeutige Antwort auf diese Frage für das weitere Gespräch sehr nützlich ist. Denn solange die Freundin in meinem Gedankenexperiment eine Schwangerschaft nur vermutet, würde ich nicht so tief in das Gespräch über die großen Lebensthemen einsteigen, sondern ihr raten, sich erstmal
Klarheit zu verschaffen. Nur wenn das Schwangersein eine Tatsache ist, sollte sie anfangen sich ernsthaft zu überlegen, welche Konsequenzen diese Schwangerschaft hat und wie sie damit umgehen will. Alles andere wäre nur sinnlose Aufregung.

Also: Ja die Naturwissenschaften haben diesen ganz engen, sachlichen Blick. Aber wer den als kalt empfindet, begeht meiner Meinung nach den Fehler zu denken, dass dieser Blick schon ein vollständiger sein soll. Aber das soll er gar nicht sein. Um persönliche oder politische Entscheidungen zu treffen, müssen wir Menschen diese Fakten natürlich wieder mit dem  zusammenbringen, was für uns Sinn und Bedeutung transportiert. Erst das ergibt dann das Gesamtbild und die Grundlage für unsere Entscheidungen.

Wer sich fragt, warum diese strenge, künstlich erscheinende Abtrennung der Fakten notwendig ist, wenn man dann doch eh wieder alles zusammenbringen muss, sollte bedenken, dass Fakten für jeden etwas anderes bedeuten. Nur wenn Fakten pur sind,
können wirklich alle sie nutzen. Egal welche Ziele und Hoffnungen eine Frau im Leben hat, welche Prioritäten und Moralvorstellungen – ein Schwangerschaftstest wird ihr da nicht reinreden. Er liefert ihr
lediglich die Antwort auf eine Sachfrage. Und für mich klingt das nicht kalt, sondern nach einem sehr nützlichen Service. Auch wenn die eigentliche Arbeit dann erst anfängt.

Auswärts geschrieben: Wenn Evidenz lästig ist

Die neue EU-Kommission hat sich entschieden, den Posten des Chief Scientific Advisors wieder abzuschaffen, der erst vor drei Jahren geschaffen wurde. Für’s Laborjournal online hab ich drüber geschrieben, warum das ein trauriger Fehler ist:

Laborjournal Online: Wenn Evidenz lästig ist. Auswärts geschrieben: Wenn Evidenz lästig ist weiterlesen