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Mein Kommentar für LJ online – Tierschutz in der Forschung: Zu lasch oder zu streng?

Ist die EU-Richtlinie zu Tierversuchen nun zu lasch oder zu streng in nationales Recht umgesetzt worden? Ich habe für Laborjournal online darüber geschrieben, warum diese Frage voller Politik und Moral steckt und dass es dabei um nichts Geringeres geht als um die Frage, wann Forschungsfreiheit und wann Tierschutz wichtiger ist:

Tierschutz in der Forschung: Zu lasch oder zu streng?

Gutachten zu angeblichen Mängeln in Tierversuchsgesetzen, oder: die Suche nach einem Hebel, um die Wissenschaftsfreiheit in Deutschland einzuschränken.
-> Weiterlesen bei Laborjournal online

Müssen wir Placebo-Medizin wie die Homöopathie bekämpfen?

Dieser Text erschien im Februar 2016 im gemeinsamen Nachrichten-Portal von web.de, gmx und 1&1. Weil der Blogbereich dort jedoch im April 2018 eingestellt wurde, gibt es den Beitrag jetzt hier im Volltext (vorher waren hier nur Teaser und Link).

Während die einen schwören, Homöopathie habe ihnen schon unzählige Male geholfen, ist sie für die anderen eine esoterische Pseudomedizin. Unmöglich, dass beide Seiten Recht haben, oder?

Ich will ehrlich sein. Ich persönlich kann mit der Homöopathie nichts anfangen. Die Theorie dahinter ist pseudowissenschaftlich. Klinische Studien zeigen immer wieder, dass die Wirkung der Kügelchen nicht über die von Placebos hinausgeht. Und wenn
Freundinnen ihre Homöopathen loben, klingt es in meinen Biologen-Ohren wie das Schwärmen für einen schamanistischen Alchemisten.

Eigentlich sollte mich das zu einer natürlichen Verbündeten des neu gegründeten Netzwerkes Homöopathie machen, die der Alternativmedizin-Richtung gerade medienwirksam den Kampf angesagt hat und über ihre Unwirksamkeit aufklären will.
Aber – und das wird jetzt einige überraschen: Ich denke nicht, dass meine Freundinnen sich die homöopathische Wirkung nur einbilden. Die ist durchaus da. Ja, ich bin sogar davon überzeugt, dass sie bei ihren Homöopathen etwas bekommen, das im Rest des  Gesundheitssystems oft schmerzlich fehlt. Etwas, wovon sich Ärzte im Allgemeinen einScheibchen abschneiden sollten.

Wer sich gerade verärgert fragt, wie um alles in der Welt diese beiden Aussagen zusammenpassen sollen, ist wahrscheinlich in bester Gesellschaft. Denn wie kann etwas gleichzeitig esoterischer Blödsinn und wertvolle Medizin sein? Das geht doch nicht, oder?
Doch, das geht. Und um das zu verstehen, muss man sich nur die Erkenntnisse der Placebo-Forschung anschauen.

Placebos wirken durchaus

Denn was bedeutet es, wenn wir sagen, etwas sei ein Placebo? Viele denken ja, ein Placebo zu bekommen sei gleichbedeutend damit, gar nicht behandelt zu werden. Wissenschaftsbasierte Medizin muss schließlich in klinischen Studien beweisen, dass sie wirksamer ist als die Placebo-Behandlung. Das nährt das Vorurteil, Placebos seien etwas Wirkungsloses. Aber das stimmt nicht.

In Studien, in denen eine echte Behandlung und eine Placebo-Behandlung zusätzlich noch mit einer Nicht-Behandlung verglichen werden, zeigt sich, dass es den Placebo- Behandelten besser geht als den Nicht-Behandelten. Und zwar nicht nur in ihrer subjektiven Wahrnehmung, sondern auch nach objektiv nachweisbaren Kriterien.

Das, mit was behandelt wurde, mag zwar ein Nichts sein, die Reaktion auf dieses Nichts ist aber sehr real. Denn auch Gedanken, Gefühle und Erwartungen können bei Menschen
über Nerven und Hormone Prozesse anstoßen, die messbare Änderungen in ihrem Körper bewirken.

Inzwischen kommt man auch nicht mehr um die wissenschaftlich abgesicherte Erkenntnis herum, dass dieser Placebo-Effekt schon immer ein Teil ganz normaler medizinischer Behandlungen ist. Auch wenn wir unsere Blutdrucktabletten nehmen, etwas gegen die Schmerzen schlucken oder die Pillen gegen Parkinson, beruht die Wirkung nicht allein auf dem direkten Effekt der Arznei-Moleküle auf unsere Körperchemie, sondern zusätzlich auf dem psychologisch vermittelten Effekt, den wir selbst bei uns auslösen – dem Placebo-
Effekt.

In nichts zeigt sich die Bedeutung des Placebo-Effekts für die allgemeine medizinische Praxis für mich deutlicher als in dem Unterschied, den es macht, wenn Krankenhaus- Patienten am Tropf Medikamente im wachen Zustand oder in Schlaf/Narkose  bekommen. Natürlich wirken echte, pharmazeutische Mittel auch, wenn die Patienten ohne Bewusstsein sind. Aber sie wirken messbar stärker, wenn die Patienten mitkriegen, dass sie sie erhalten haben.

Obwohl es Stand der Forschung ist, dass medizinische Behandlungen generell auf zwei verschiedene Arten wirken, wird die psychologische Komponente im Gesundheitssystem aber oft nicht systematisch genutzt.

Psychologische Unterstützung hängt vom Arzt ab

Nach meiner Erfahrung ist es schon Glückssache, ob man an einen menschlich inkompetenten Holzklotz von Arzt gerät oder ob man bei jemandem landet, der das Gespräch mit Patienten zu nutzen versteht, um Vertrauen aufzubauen und Zuversicht in den Erfolg der geplanten Therapie zu vermitteln. Es ist also Zufall, ob man den psychologischen Boost kriegt, den eine gelingende Patienten-Arzt-Beziehung zusätzlich zur pharmazeutischer Wirkung auslöst.

Zudem gilt es unter wissenschaftsbasierten Medizinern meist als ethisch nicht vertretbar, Patienten reine Placebos zu geben. Wenn sie meinen, man könnte von einer Placebo- Behandlung profitieren, greifen sie daher höchstens zu harmlosen Medikamenten, von denen sie sich in dem Fall aber weniger eine Arznei-, als vielmehr eine Placebo-Wirkung versprechen.

Aber auch über die Anwendung solcher sogenannten Pseudo-Placebos wird eher verschämt unter der Hand geredet.
Ich denke, so lange der Umgang mit dem Placebo-Effekt in der modernen, medizinischen Praxis noch so unzuverlässig genutzt wird, werden es immer Alternativmediziner sein, die diese Lücke füllen.

Zwar haben Homöopathen vom Naturwissenschaftlichen her gesehen nichts zu bieten. Trotzdem scheinen sie mit ihrer windigen, 200 Jahre alten Pseudowissenschaft den Placebo-Effekt weit systematischer zu nutzen als das die normale Ärzteschaft sonst tut.

Meiner Meinung nach schreit das nicht nach einem wütenden Kampf gegen die Homöopathie, sondern sollte eher dazu anstacheln, die psychologische Dimension des Heilens endlich auch im normalen medizinischen Alltag konsequent umzusetzen. Damit
auch Menschen wie ich, die ihre Medizin gerne wissenschaftsbasiert halten, davon profitieren können.

Masern: Wie wär’s, wenn wir erstmal damit anfangen, die Impflücken der Impf-Befürworter zu schließen?

MMR-Impfstoff2

Ich schüttle hier derzeit oft den Kopf, wenn wieder eine Impfpflicht gefordert wird. Denn es würde meiner Ansicht nach genügen, wenn sich in Sachen Masern erstmal ein paar Ärzte mehr als nur die Kinderärzte zuständig fühlen würden.

Wenn ich von meinen Erfahrungen und Gesprächen ausgehe, dann gibt es eine Menge Leute, die nicht ausreichend geimpft sind, obwohl sie – man höre und staune – rein gar nichts gegen das Impfen haben. Sie sind meiner Ansicht nach nur deshalb nicht ausreichend geimpft, weil sich von ärztlicher Seite keiner für ihre Impflücken zuständig fühlt.

Mein Vorschlag ist daher: Fangen wir doch erstmal an, das zu ändern, bevor wir bedrohlich mit der Impfpflicht-Keule drohen. Masern: Wie wär’s, wenn wir erstmal damit anfangen, die Impflücken der Impf-Befürworter zu schließen? weiterlesen

Mit Verdauungsdetails in die deutschen Bestsellerlisten: „Darm mit Charme“ ist ein Phänomen

Dieser Text erschien im Januar 2015 im gemeinsamen Nachrichten-Portal von web.de, gmx und 1&1. Weil der Blogbereich dort jedoch im April 2018 eingestellt wurde, gibt es den Beitrag jetzt hier im Volltext (vorher waren hier nur Teaser und Link).

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Ich erinnere mich noch gut, wie ich einmal erschreckt aus der Hobbythek wegzappte, weil Jean Pütz von seinen Hämorrhoiden erzählte. Bisher mochte ich es nämlich nicht, wenn Leute außerhalb der engsten Familie mir auch nur irgendwas über ihren Darm mitteilen.

Umso erstaunter war ich, dass das bei Giulia Enders anders ist. Die junge Ärztin durfte mir in ihrem Buch „Darm mit Charme“ nicht nur in aller Breite Dinge erklären, die ich sonst eklig und peinlich finde. Nein, ich fand das auch noch außerordentlich unterhaltsam. Ja, ich kann mich sogar an kein Sachbuch vorher erinnern, bei dem ich so viel gelacht hätte.

Dabei macht Enders keine billigen Fäkalwitze. Es geht ihr um Wissensvermittlung. Sie behandelt Tipps im Umgang mit Darmproblemen genauso wie Grundlagen der Darmfunktion und ungeklärte Fragen der aktuellen Forschung. Aber die Art und Weise wie sie das tut, ist erfrischend anders als in Büchern mit ähnlichem Anspruch.

Der frische Wind erklärt sich aus der Kultur der Science Slams, die sich in den letzten Jahren wachsender Beliebtheit erfreuen. In diesen Wettbewerben treten Wissenschaftler an, um ihr Forschungsgebiet in möglichst amüsanten Kurzvorträgen vorzustellen. Enders gewann 2012 die Science Slams in mehreren Städten mit ihrer speziellen Gute-LauneMischung aus ansteckender Neugier, naiver Leichtigkeit und entwaffnendem Mädchencharme.

„Darm mit Charme“ funktionierte also schon auf der Bühne und  wurde auch bei Youtube ein Hit. Der Erfolg des Buches zeigte dann „nur“ noch, dass ihr Science-Slam-Stil auch in lang und gedruckt gut ankommt. Er bewies, dass es auch das Sachbuch-Publikum liebt,
wenn über Kot-Konsistenzen, Bakteriengesellschaften und ihre therapeutische Verpflanzung in andere Därme ganz leichtfüßig geplaudert wird.

Sicher gibt es Leute, in deren Augen die Seriosität leidet, wenn flapsig über Medizinisches geredet wird. Wenn eine junge Forscherin blumig über die Wissenschaft der Abführmittel
schreibt oder über die interessante Mechanik des Kotzens oder wie aus Präbiotika Pupse entstehen – und das auch noch mit lustigen Comic-Zeichnungen ihrer Schwester garniert. Öfter aber scheint es den Leuten so zu gehen wie mir, dass gerade dieser Stil ihnen hilft,
sich den Verdauungsorganen mal wohlwollend interessiert zu nähern, statt mit Scheu und Scham.

Schon eine kurze Internetsuche zeigt, dass auch viele Mediziner diesen Abbau von Hemmungen begrüßen. Ein Gastroenterologen-Team lobt das Buch auf ihrer Webseite als „Pflichtlektüre für Darmbesitzer“, Proktologen laden Enders zu ihren Fortbildungsveranstaltungen ein, ein Internist zitiert in seinem eigenen Vortrag ihre geradezu poetischen Beschreibungen der Darmentleerung. Die neue Offenherzigkeit scheint also auch Ärzte zu beflügeln.

Übrigens enthält das Buch auch für Jean Pütz und seine Leidensgenossen Wissenswertes. Enders erklärt darin nämlich auch, welche Sitzhaltung auf dem Klo Hämorrhoiden begünstigt und wie man durch eine mehr hockende Stellung vorbeugen kann. Früher hätte ich vielleicht entsetzt ausgerufen: „Oh, nein, bitte keine Details!“ Aber neuerdings will ich sie doch hören, die Details. Denn sie sind wirklich erstaunlich interessant.

Die Vitamin-Verschwörung

Dieser Text erschien im Juli 2014 im gemeinsamen Nachrichten-Portal von web.de, gmx und 1&1. Weil der Blogbereich dort jedoch im April 2018 eingestellt wurde, gibt es den Beitrag jetzt hier im Volltext (vorher waren hier nur Teaser und Link).

Als Reaktion auf meinen Gentechnik-Beitrag erhielt ich eine Mail mit einer wahren Schimpf-Tirade. Besonders regte den Schreiber auf, dass wegen Gentechnik und der industrialisierten Landwirtschaft doch viel weniger Vitalstoffe im Essen sind als früher. Er sei dadurch quasi gezwungen, Vitamine in Tablettenform zu nehmen. Aber „diese PharmaMafia“ wolle ihm auch das noch wegnehmen. Jetzt sei nämlich pro Tablette weniger von den Vitaminen drin. Offensichtlich, so meinte er, seien Mächte am Werk, die ihn krank machen wollen, damit sie besser an ihm verdienen.

„Äääh… Was?“, dachte ich und war ganz verdattert. So wie ich immer verdattert bin, wenn Leute so weitreichende Verschwörungen für möglich halten. Und weil das alles so hanebüchen klang. Glaubte der Mann wirklich, was er da schrieb? Ich musste im Internet natürlich nicht lange suchen, um zu Seiten zu gelangen, die ins gleiche Horn stießen: Die größte Bedrohung jemals überhaupt seien diese Änderungen, hieß es da. Der freie Zugang zu Naturheilverfahren würde von einem perfiden, internationalen Kartell eingeschränkt.

Während ich las, fing ich immer breiter an zu grinsen und dachte mir: „Na, schau mal an, wer von dieser Panikmache am meisten profitiert…“. Denn ganz offensichtlich leben die Betreiber von Seiten, die am lautesten schreien, vom Verkauf alternativer Nahrungsergänzungsmitteln. In den Shops, die ich inspizierte, gibt es jedenfalls ein ganzes Arsenal von Kräuterextrakten und Essenzen, von Enzymen und Ölen, von VitaminMischungen und Mineral-Pülverchen zu kaufen.

Mir wurde klar: Von Nahrungsergänzungsmitteln lebt es sich offenbar am besten, wenn die Kunden glauben, dass ihre Gesundheit von diesen Pillen abhängt. Aber wie nur kann man diese Vorstellung im Kunden erzeugen? In unserem Teil der Welt, in dem Nahrung in Hülle und Fülle vorhanden ist? Das ist ja eigentlich absurd. Wie lässt sich bei Menschen das Gefühl von Mangel erzeugen in einer Zeit, in der sich jeder sogar im Winter frische Lebensmittel kaufen kann? „Wie geht das?“, fragte ich mich. „Denn das ist ja wie einen
Kühlschrank in der Arktis verkaufen!?“

Aber der Verkaufstrick ist ganz einfach: Man muss seinen Kunden nur weismachen, dass diese moderne Welt nur so tut, als würde sie uns gut ernähren. Man muss Kunden nur suggerieren, dass es eigentlich anders ist. Dass sie Mangel leiden, vielleicht ohne es überhaupt zu merken. Dass wir alle in Gefahr sind. Dass uns  schleichend, heimlich und nur für die Eingeweihten wahrnehmbar die für uns wichtigsten Stoffe geklaut werden. Dass wir über den Tisch gezogen werden von Mächten, gegen die wir nichts ausrichten können. Von Mächten, die so sind wie die grauen Männer bei Momo.

Nur dass sie unsere Vitamine klauen und nicht unsere Zeit. Was ich davon halte? Tja… ich halte das für eine sehr, sehr wirkungsvolle  Werbe-Botschaft. Daher hier meine Antwort:

Lieber Herr O.,

es ist gut, eine gesunde Skepsis zu haben gegen internationale Großkonzerne. Denn klar wollen die Geld verdienen. Und natürlich sind ihre Werbeversprechen immer zu vollmundig. Wir müssen wachsam sein und nicht alles glauben, was diese Firmen uns erzählen wollen. Und klar müssen wir der Pharma-Industrie genau auf die Finger schauen. Auch der Landwirtschaft natürlich und den Saatgut-Firmen. Aber wissen Sie, wem wir auch auf die Finger schauen müssen? Den Vitamin-Händlern und Ergänzungsmittel-Krämern! Denn auch bei denen, die ihre Kunden vor der Profitgier Anderer warnen, ist gesunde Skepsis angebracht. Vor allem wenn unsere Angst ihre Geschäftsgrundlage ist.

Beste Grüße,
Brynja Adam-Radmanic

Es gibt viele gute und vor allem unabhängige Informationsquellen darüber, wann und für wen Nahrungsergänzungsmittel sinnvoll sind, etwa das Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR), das Robert-Koch-Institut (RKI) oder die Gesellschaft für Ernährungsforschung (GfE). Ganz aktuell hat auch die Stiftung Warentest einen gut verständlichen Text mit Empfehlungen auf Basis des derzeitigen Stands der Wissenschaft.

Dort wird auch ausführlich über die Nebenwirkungen bei Überdosierung bestimmter Vitamine, Mineralstoffe und  Spurenelemente gesprochen wird. Denn in den letzten Jahren
gab es einige klinische Studien, bei denen  Nahrungsergänzungsmittel nicht die erwartete prophylaktische Wirkung zeigten. Manchmal trat sogar ein gegenteiliger Effekt ein. So wissen wir heute, dass starke Raucher durch Einnahme von Vitamin A und seiner Vorstufe Beta-Carotin ihr Krebsrisiko nicht senken, sondern sogar erhöhen. Wir wissen auch, dass
Diabetikerinnen in einer Studie von Vitamin C nicht weniger, sondern mehr Herzkreislauf-Erkrankungen bekamen. Und auch die Einnahme von Vitamin E senkte in einer Studie bei
chronisch Kranken nicht etwa die Wahrscheinlichkeit zu sterben, sondern erhöhte sie sogar.

Es ist nämlich mit Nahrungsergänzungsmitteln wie mit Medikamenten auch: Eine bestimmte Pille kann für den Einen ein Segen sein, für den Anderen aber das Falsche. Es lohnt sich also, genau hinzuschauen. Und es lohnt sich, beim Dosieren auf die neuesten Empfehlungen zu achten. Denn die Wissenschaft lernt jeden Tag dazu.

Gerade im Bereich der Vitamine hat sich unser Kenntnisstand enorm verbessert in den letzten Jahren. Wenn die empfohlene maximale Tagesdosis gesenkt wird, dann hat das einen guten Grund. Denn bei Vitaminen gilt nicht nur, dass zu wenig schadet und zu Mangelerscheinungen führt, es gilt auch, dass es bei einem Zuviel zu
Vergiftungserscheinungen kommen kann. Beim Vitamin B6 etwa  können bei Dosierungen höher als 50 Milligramm pro Tag Nervenstörungen auftreten.

Ich persönlich habe ja früher auch hin und wieder zu Vitamin- und Mineralstoff-Pillen gegriffen. In Lebensphasen etwa, in denen ich dachte, ich lebe so ungesund, dass ich zwischendurch mal mit Vitaminen gegensteuern muss.

Wegen der möglichen Risiken von Vitamin-Überdosierungen nehme ich heute aber nur noch welche, wenn es vertrauenswürdige, offizielle Empfehlungen dazu gibt. So gibt es bei uns im Haushalt Fluorid in der Zahnpasta und Jod im Salz. Während der
Schwangerschaften nahm ich Folsäuretabletten und die Kinder bekamen Vitamin K nach der Geburt und Vitamin D im ersten Lebensjahr.

Mehr braucht in unserem Überflussland kaum jemand. Da sind sich die Experten einig.

Jetzt isse drin, die Tetanus-Spritze. Und Keuchhusten darf auch wegbleiben.

Tetanus-Spritze

Heute fand dieser 4-fach-Impfstoff seinen Weg in meinen Oberarm. Ich kam zwar wegen der Tetanus, aber zu den anderen drei Auffrischungen in der Spritze sagte ich auch gerne: Her damit! Jetzt isse drin, die Tetanus-Spritze. Und Keuchhusten darf auch wegbleiben. weiterlesen

Auswärts geschrieben: Wie viel Transparenz ist transparent genug?

Ich habe für Laborjournal online die Entwicklungen bei der Umsetzung von Studientransparenz kommentiert:

Wie viel Transparenz ist transparent genug?

Statt die vom EU-Parlament verabschiedete Verordnung über Transparenz klinischer Studien so umzusetzen, dass Forschung und Patienten profitieren, versucht die Europäische Arzneimittelbehörde EMA, die Nutzung der Informationen stark zu erschweren. -> weiterlesen bei Laborjournal online

 

Seit ich den Text vor ein paar Tagen schrieb, ist auch vom IQWiG viel mehr zum Thema erschienen:

Außerdem gibt es eine Social-Media-Kampagne. Andrea Kamphuis, die beim IQWiG Pressearbeit macht, erklärt sie in ihrem eigenen Blog: Was hat es mit #screenonly auf sich? – Mit dem Twitter-Hashtag werden Kommentare und Karikaturen verbreitet, die die Folgen für unabhängige Forscher versuchen zu visualisieren: Twitter zu #screenonly.

 

Bärendienst für die Neurokriminologie

Hat Gewalt und Verbrechen biologische Ursachen? Wem bei der Frage schon der Nazi-Alarm geht, hat Recht. Das Thema ist verbrannt. Aber er hat auch Unrecht. Denn die Forschung der letzten Jahrzehnte zeigt, dass wir Ideologie endlich von Wissen trennen sollten. Die Kenntnis medizinisch-biologischer Faktoren sollte – neben den sozialen – eine wichtigere Rolle bei der Kriminal-Prävention spielen als bisher.

Leider tun Neuro-Kriminologen ihrem Feld keinen guten Dienst, wenn sie – statt die Fakten für sich sprechen zu lassen – es schaffen, wirklich alle Vorurteile gegenüber „Biologisten“ zu bestätigen. Paradebeispiel: Psychiater und Hirnforscher Adrian Raine in seinem Buch „Anatomy of Violence“, das ich für die Mai-Ausgabe der Lab Times rezensiert habe (englischsprachigen Magazin mit „News for the European Life Sciences“). Bärendienst für die Neurokriminologie weiterlesen

Radikaler Tierschutz ist nicht der beste Tierschutz

Für einen radikalen Gegner aller Tierversuche mag meine Haltung zum Thema ein Beispiel dafür sein, wie ekelhaft abgebrüht und herzlos die Menschheit an sich doch ist. Ich aber denke, dass der von manchen ersehnte Erfolg des radikalen Tierschutz in Deutschland den Versuchstieren ironischerweise einen Bärendienst  erweisen würde. – Eine Antwort auf den gestrigen Kommentar von Harald von Fehr auf meinem Beitrag Wenn Tierschutz anti-demokratisch wird: Radikaler Tierschutz ist nicht der beste Tierschutz weiterlesen

Über Impf-Ängste, die mich selbst überraschten

Dieser Text erschien im April 2014 im gemeinsamen Nachrichten-Portal von web.de, gmx und 1&1. Weil der Blogbereich dort jedoch im April 2018 eingestellt wurde, gibt es den Beitrag jetzt hier im Volltext (vorher waren hier nur Teaser und Link).

MMR-Impfstoff2

Ich dachte immer, ich sei keine ängstliche Impf-Skeptikerin. Bin ja schließlich Biologin und Fan evidenzbasierter Medizin. Doch als ich entdeckte, dass mir selbst eine Masern-Impfung fehlt, drückte ich mich monatelang vor einer Spritze, die ich doch eigentlich für notwendig hielt.

Ich könnte heute darüber schreiben, dass ich mich habe impfen lassen und warum. Denn das habe ich. Im März habe ich mir die
Spritze geben lassen, die mir fehlte. Viel interessanter finde ich es aber, über die Gründe schreiben, warum ich diesen Impftermin vorher monatelang verschoben habe.

Und nein, es war nicht nur wegen der Zahngeschichte, die dazwischen kam. Klar, mussten da drei Wurzelfüllungen neu gemacht werden. Aber wenn ich behaupten würde, ich hätte deswegen die Spritze verschoben, dann wäre das nur die halbe Wahrheit.

Der andere Teil der Wahrheit hat damit zu tun, dass in meinem Kopf ganz unerwartet ein Stimmchen auftauchte, das flüsterte: Und
wenn du die Impfung nicht verträgst? Wenn sie Nebenwirkungen hat? Wenn du einen Impfschaden kriegst?

Die Existenz eines solchen Stimmchens war mir neu. Klar kenne ich mich als vorsichtigen Menschen. Ich steh‘ nicht so auf Risiko.
Trotzdem bin ich stolz darauf, eine einigermaßen rationale Schisserin zu sein. Sprich: Ich versuche, mich nur vor den Sachen zu fürchten, die auch wirklich gefährlich sind. Wozu hat man denn eine naturwissenschaftliche Ausbildung, wenn sie nicht wenigstens dafür gut ist?

Wenn ich rational rangehe, sollten meine Impf-Entscheidung auf einer Abwägung von Risiken beruhen. Dann weiß ich, dass auch
Impfstoffe Nebenwirkungen haben können, wie jedes andere Medikament auch. Und auch, dass diese im Einzelfall schlimm sein können. Ich weiß aber auch, wie wichtig es ist, dieses Impf-Risiko mit dem Risiko der Krankheit selbst zu vergleichen.

Die Masernimpfung wird empfohlen, weil die Wahrscheinlichkeit durch Masern selbst Schäden zu erleiden, 1000 x größer ist als die
Wahrscheinlichkeit durch die Impfung Schaden zu erleiden. Der offizielle Stand seriöser Forschung sagt also: Die Krankheit ist
wesentlich gefährlicher als die Impfung gegen sie. Das sollte doch reichen, um mich zu überzeugen.

Ich verstand daher auch erst gar nicht, warum mich trotzdem vor der Impfung heimlich Sorgen quälten. Das passte doch gar nicht. Nicht zur Faktenlage und auch nicht zu mir. Ich hatte bei Tetanus-Auffrischungen früher nie Angst gehabt. Und Probleme mit Spritzen habe ich auch nicht. Also was war das plötzlich? Es kann nicht daran liegen, dass ich speziell Vorurteile gegen die Masern-Impfung hätte. Meine Kinder hab ich in den letzten Jahren beide dagegen impfen lassen ohne mit der Wimper zu zucken. Und Nebenwirkungen gab es bei ihnen auch nicht.

Nun wirken Emotionen ja oft eigensinnig, irrational und beratungsresistent. Ich hätte deswegen versuchen können, sie mit dem Verstand zu überstimmen. Aber ich habe in den letzten Jahren festgestellt, dass es viel lohnenswerter ist, Gefühle ernst zu nehmen und ihre Auslöser genau zu ergründen. Nicht, um ihnen das Ruder zu überlassen, sondern weil es klug ist, sich selbst genau zu kennen.

Als ich also über diese mir rätselhafte neue Angst nachdachte, kamen mir ein paar Umstände der Impfung in den Sinn, die vielleicht eine Rolle dabei spielen könnten, dass ich sie so anders bewertete als sonst. Es war nämlich so:

Ich bin im Oktober zu meinem Hausarzt gegangen um zum ersten Mal im Leben so einen Gesundheits-Check-up zu machen, der ab 35
Jahren als Präventionsmaßnahme von den Kassen gezahlt wird. Dabei habe ich angesprochen, dass mir aufgefallen sei, dass ich zu der Gruppe gehöre, der die zweite Masern-Impfung fehlt. Wegen uns ist halb Deutschland mit Impfaufklärungsplakaten gepflastert.

Aus der Reaktion meines Hausarzt konnte ich schließen, dass er die Kampagne der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung
kannte, ich aber wohl die Erste war, die ihn darauf ansprach. Nach Überprüfung meines Impfpasses musste er sich daher erstmal
informieren, wie das Vorgehen in dem Fall ist. Die Arzthelferinnen mussten sich irgendwo telefonisch bestätigen lassen, dass die Kasse
den Impfstoff auch wirklich zahlt und herausfinden, wie er zu beschaffen ist.

Das ging alles ganz schnell und professionell, aber was bei mir hängen blieb, war das Gefühl, dass mein Anliegen, diese Impfung
nachzuholen, etwas ganz Ungewöhnliches ist. Es nistete sich bei mir der störende Gedanke ein, dass wohl kaum ein Mensch dieser
Empfehlung folgt. Außer mir.

Auch machte mich das Vorgehen zur Beschaffung des Impfstoffs nervös. Während der Tetanus-Impfstoff stets in der Praxis vorrätig ist, bekam ich für den Masern-Impfstoff ein Rezept ausgestellt. Es hieß, ich müsse mir diesen Impfstoff in der Apotheke besorgen und ihn bitte zum Impftermin mitbringen. Außerdem wurde ich gebeten, die Packung bis dahin im Kühlschrank aufbewahren, weil der Impfstoff sonst unwirksam werde.

Der Impfstoff muss im Kühlschrank aufbewahrt werden

Ich glaube inzwischen, dass es diese besonderen Umstände der Impfung waren, die meinem neuen impfskeptischen Stimmchen Nahrung gegeben hatten. Die Zahngeschichte kam mir dann ganz recht, um einen scheinbar rationalen Grund vorschieben zu können und verhüllen zu können, dass ich eigentlich Angst bekommen hatte vor dieser Impfung.

Um zu verstehen, warum mich diese Umstände der Impfung nervös machten, ist hilfreich zu wissen, dass es in einer Arztpraxis
normalerweise sehr routiniert zugeht, wenn Impfungen anstehen. Unserem Kinderarzt merkt man an, dass er jede der empfohlenen
Impfungen schon tausende Male durchgeführt hat. Auch Hausärzte sind voller gelassener Sicherheit, wenn alle zehn Jahre Tetanus
ansteht.

Mir war vorher gar nicht klar, dass ich diese eingespielte Normalität der Impfsituation brauche, um das Gefühl zu haben, dass alles in
Ordnung ist und ich eine von ganz vielen bin, die sich selbst oder ihre Kinder impfen lassen. Meine Vermutung ist auch, dass bei mir vielleicht nur deswegen bisher keine inneren Konflikte beim Impfen aufgetreten waren, weil die Ärzte, zu denen ich eine Vertrauensbeziehung habe, sonst stets von sich aus die Impfungen ansprechen, die nach offizieller Impf-Empfehlung dran sind.

Hier aber war ja ich die gewesen, die mit der Idee kam, sich gegen Masern impfen zu lassen. Und der Arzt schien die Experten-Meinungen (noch?) nicht in seine eigene Impfberatung aufgenommen zu haben. Und so bekam ich das Gefühl, dass ich allein auf weiter Flur bin. Das war nicht gut. Das verschob meine emotionale Risiko-Wahrnehmung.

Es klingt vielleicht paradox, aber die Beschäftigung mit diesen Auslösern meiner plötzlichen Impf-Angst machte es mir leichter,
irgendwann dann doch zum Arzt zu gehen – mit dem Impfstoff in der Tasche, der monatelang in meinem Kühlschrank zwischen Senf und
Currypaste gewartet hatte. Denn nur durch diese Beschäftigung fand ich die richtigen Argumente, um meine Sorgen zu beruhigen.

Ich konnte mir sagen, dass es die entsprechende Empfehlung der Ständige Impfkommission (STIKO) ja erst seit 2010 gibt. Und dass es
nachvollziehbare Gründe dafür gibt, warum sie sich wahrscheinlich langsamer durchsetzt als andere Empfehlungen.

Hausärzte hatten ja vorher nie mit Masern-Prophylaxe zu tun. Das war früher immer die alleinige Domäne der Kinderärzte. Außerdem
sehen Hausärzte die Altersgruppe, für die die Empfehlung ausgesprochen wurde, wohl selten. Wenn ich alle zwei, drei Jahre mal in die Praxis eines Allgemeinmediziners finde, dann ist das Wartezimmer meist gut mit alten Damen gefüllt und für die gilt die Empfehlung nicht.

Menschen um die 40 sind eben seltener krank. Und wer vorher wegen Ausbildung und Beruf umgezogen ist, hat oft gar keinen Hausarzt. Das Thema Impfen kommt dann nur bei Fernreisen auf oder wenn man eine Verletzung behandeln lässt und gefragt wird, wie lange die letzte Tetanus-Impfung her ist.

Übrigens: Die paar Leute in meinem Alter, von denen ich wissen wollte, ob sie auch von dieser Masern-Impflücke betroffen sind, wussten nichts davon. Und auch nicht, wo ihr Impfpass überhaupt ist. Das waren keine Impfgegner. Noch nicht mal Impfskeptiker oder Anhänger individueller Impfentscheidungen. Sie haben Kinder und
lassen sie gegen alles impfen, was so empfohlen wird. Schon komisch, wenn man so drüber nachdenkt.

Das zeigt aber, dass ich nicht alleine bin. Sicher ist es kein Zufall, dass die Impf-Aufklärungskampagne für die Masern-Impfung
„Deutschland sucht dem Impfpass“ genannt wurde.
Allerdings scheint die Kampagne nicht viel zu nützen. Ich jedenfalls hatte mich davon auch nicht angesprochen gefühlt und war erst
durch einen Beitrag im Blog „Immun“ im letzten Sommer darauf gekommen, dass mich das Thema selbst betrifft.

Eintragung im Impfpass

Was ich hier beschreibe sind nur meine kleinen Erfahrungen. Aber sie bestätigen, dass Deutschland ganz schön impfmüde ist. Das wird
ja oft beklagt, wenn es mal wieder zu einem Masern-Ausbruch kommt. Als Ursache wird oft angenommen, dass Impfgegner große
Macht über die Leute haben. Nach meiner neuen Erkenntnis gibt es aber eben auch so manche Impfbefürworter (mich eingeschlossen),
die sich zwar über Impfgegner aufregen, sich aber mit ihrem eigenen Impfstatus trotzdem nie beschäftigen. Das macht mich stutzig.

Meine Vermutung ist ja, dass es nicht nur bei mir interessant ist, sich die Psychologie des Impfverhaltens mal anzusehen, sondern bei
vielen anderen Impfbefürwortern auch. Statt den Impfgegnern die Schuld zu geben, sollte man vielleicht eher fragen: Was bringt erstmal die Leute, die eigentlich pro Impfen sind, dazu, auch für sich selbst aktiv zu werden? Oder was hindert sie daran? Gibt es
Rahmenbedingungen, die man optimieren kann? Kann man etwas ändern bei „weichen“ Faktoren, wie denen, die mich verunsichert
haben?

Ein besseres Verständnis davon könnte ein wichtigerer Schlüssel dafür sein, wie man heute wieder zu Impfraten kommt, wie sie eine
wissenschaftsfundierte, aufgeklärte Gesellschaft eigentlich haben sollte.