Schade! Prechts Buch “Liebe. Ein unordentliches Gefühl” hat mich enttäuscht. Hatte es vor ein paar Wochen als Taschenbuch beim Einkaufen liegen sehen und mitgenommen, weil ich mir eine eloquente Reise in die Natur- und Kulturgeschichte der Geschlechter erhofft hatte. Fand es auch so passend zum Symposiumsbesuch. Im ersten Drittel geht es auch um genau die gleichen Themen: Mann und Frau und ihr Verhalten. Wie viel ist Natur, wie viel ist Kultur? Leider kann Precht dabei seine Prägung als Philosoph und Geisteswissenschaftler nicht überwinden. Man merkt, er bemüht sich um eine unvoreingenommene Sicht. Er ringt mit sich, geht ein Stück in die vermittelnde Richtung, stellt die Pole gegenüber – Soziobiologie auf der einen, feministische Genderforschung auf der anderen, bemerkt, dass beide zu extreme Positionen einnehmen. Aber dann, statt das Verhältnis Natur/Kultur mal aufzudröseln und darzustellen, was wir schon wissen über die Macht beider Sphären und über ihre Wechselwirkungen, schlägt er sich – mir nichts dir nichts, ohne Übergang – auf die Seite der Kultur. Keine Begründung dazwischen, keine Herleitung, nichts. Er ist ganz Geisteswissenschaftler, wenn er resümiert: “Das instinktive Verhalten der Gladiatorfrösche, Grauen Würger und Menschen ist qualitativ nicht das gleiche. Menschen sind von Amphibien und Vögeln völlig getrennt durch die höchst variantenreiche menschliche Kultur.” Man beachte die Formulierung “völlig getrennt”. Die Abscheu der Geisteswissenschaftler davor mit den Tieren gemein gemacht zu werden, ist einfach riesig. Sie spricht auch bei Precht aus jedem Kapitel. Und dieses Unbehagen gegenüber den Biologen! Mal sind sie ihm zu forsch, mal geißelt er ihre unterkomplexen (!) Theorien. Ja, was denn nun?
Schade! Sein Philosophie-Buch hat mir so gut gefallen. Aber von einer ausgewogenen Weltsicht ist er hier meilenweit entfernt. Da könnte er sich von Güntürkün eine große Scheibe abschneiden: “Wir sind zu 99% Biologie und zu 99% Kultur.” Hab versucht weiterzulesen, aber da sind einfach zu viele Abtörner. Ich versuch es zu verstehen, ihm geht es um Verteidigung der Liebe gegen die Biologie. Aber was, wenn die Biologie für die Liebe gar nicht zuständig ist? Es ist ja kein Zufall, dass die meisten Biologen nicht von Liebe reden, sondern von Dingen, die messbar sind wie Verpaarungsstrategien, Bindungsverhalten und Treue. Das liegt nicht daran, dass die Biologen die Liebe abschaffen wollen oder sie damit für vollständig beschrieben halten, sondern dass die Liebe einer anderen Erklärungssphäre entstammt. Für mich beschreibt sie wie es sich von innen anfühlt, was in keinem Gegensatz steht zu Erklärungen, die sich von außen und unten nähern, also durch Messung von Verhalten und Molekülen den Mechanismen auf die Spur zu kommen. Aber Precht fühlt sich angegriffen, die Menschheit angegriffen, was weiß ich. Um jedenfalls die Liebe gegen die kalten Naturalisten zu verteidigen muss Precht irgendwelche extremen Biologen-Meinungen auffahren, sie als Strohkameraden aufbauen (man findet ja immer Leute, die was sagen, was einen aufregt, wenn man’s drauf anlegt). Er filetiert sie mit seinen Philosophen-Waffen und baut sich mit einer Überlegenheitspose über ihnen auf. Hmmh. Also mir macht das keinen Spaß. Es ist ein Scheinkampf. Für mich gibt es da nichts zu verteidigen, es gibt keine unvereinbaren Gegensätze. Ich bin Tier und Kulturwesen in einem, untrennbar verwoben. Untersuchungen zum Oxytocin-Spiegel von Liebenden sind für mich keine Kränkung meiner menschlichen Einzigartigkeit, sondern spannende Forschung zu den Bausteinen, die uns so fühlen lassen wie wir fühlen, wenn wir lieben. Wieso haut er so darauf rum? Versteh ich nicht. Echt nicht.