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Wissenschaftsmotive, die unter die Haut gehen

Als ich vor 20 Jahren verkündete, meine Volljährigkeit mit einem Tattoo feiern zu wollen, war meine Familie alles andere als begeistert.  „Tätowierungen sind doch was für Seeleute und Knackis!“, meinte meine Oma und schüttelte den Kopf, „Wirst du das nicht bereuen?“ – „Werd‘ ich nicht“, sagte ich, und ließ mir einen schwarzen Drachen aufs Schulterblatt stechen.

Ich bin froh, dass ich recht behielt. Mein Drache ist ein wenig verblasst und vielleicht mit mir ein bisschen dicker geworden, aber ich mag ich ihn immer noch sehr. Er gehört einfach zu mir. Als ein Zeichen für das, was ich mir damals wünschte fürs Erwachsen-Werden: Mut, Stärke, Unabhängigkeit.

Auch wenn ich kein weiteres Lebensereignis mit einem Tattoo markiert habe, kann ich seitdem das Bedürfnis nachempfinden, mit einer Tätowierung etwas Besonderes ausdrücken zu wollen. Einen Lebenswunsch. Ein Gefühl. Eine Zugehörigkeit.

Auch deswegen schaue ich mir gerne die wachsende Sammlung von Forscher-Tattoos in Carl Zimmers Blog The Loom (auf englisch) an. Seit einem Aufruf des US-Wissenschaftsjournalisten vor ein paar Jahren schicken ihm Forscher aus der ganzen Welt Fotos ihrer wissenschaftlichen Lieblingsthemen, verewigt in Tinte unter ihrer Haut: Moleküle und Zellen, Symbole und Formeln, Fossilien und Galaxien.

2011 brachte Zimmer eine Auswahl der Nerd-Tattoos als prächtigen Bildband raus (leider nur auf engl: Science Ink*). Im Vorwort davon wundert sich Zimmer über sich selbst. Wie ausgerechnet er zum Kurator für Wissenschaftstätowierungen werden konnte. Er, der kein eigenes Tattoo habe und nicht plane, sich eins anzuschaffen.

Was Zimmer fasziniert (und mich auch), sind die Geschichten, die mit den Tattoos verbunden sind. Was bedeutet das Motiv für den, der es trägt? Das Fisch-Fossil aus dem Devon? Die Fourier-Transformation? Aber auch: Welche Rolle spielt dieses Motiv für die Geschichte der jeweiligen Wissenschaft. Wie wurden retinale Ganglienzellen entdeckt? Wofür steht Schrödingers Katze?

Zimmer verwebt diese beiden Ebenen geschickt zu kleinen, spannenden, bildbegleitenden Texten, bei denen man ganz nebenher noch was lernt – über Glycolipide, die Kultur der Pazyryk oder RFID-Chips.

* mit dem Sternchen kennzeichne ich Partner-Links im Text (mehr dazu im Werbe-Disclaimer)

Netz-Lektüre-Leckerbissen, Juli & August

Es gab lauter Interessantes zu lesen in den letzten Wochen. Etwa über artfremde DNA, eine ungewöhnliche Liebe oder eine effizient tötende Biologin. Ich fand, es war besonders viel zum Thema Essen dabei. Hier die Links zu meiner Lieblingslektüre von Juli und August mit einer Hand voll eigenen Gedanken dazu:

Mein Bauchgefühl sagt mir jeden Tag: „Wenn du Durst hast, trink. Wenn du Hunger hast, iss‘. Und zwar, was dir schmeckt und so viel, bis du satt bist.“ Das ist so einfach, wie es heutzutage ungewöhnlich ist. Vor ein, zwei Generationen hatten die Menschen ein schlechtes Gewissen, wenn sie masturbiert hatten. Heute? Weil sie ’ne Tüte Chips verdrückt haben. Absurd. Gegenmaßnahme: Udo Pollmers herrlich derber Rant über die angeblich so gut begründeten Ernährungsvorschriften der modernen Welt.

Alarm, artfremde DNA in Bio-Lebensmitteln!, meldete Wiso am 5. August.  Die Bio-Verbände bangen seitdem um’s Verbrauchervertrauen. Gesetzlich ist zwar nichts zu beanstanden, denn manipuliert wurde nicht gentechnische, sondern „nur“ zellbiologisch. Pflanzenzüchter verschmelzen nämlich gern mal Zellen verwandter Arten miteinander, weil sie auch auf diese Weise gewünschte Gene von einer Art in die andere übertragen können (wenn auch nur die von Chloroplasten).

Mir ist es ja eh‘ egal, mit welchen Methoden Gene der Sonnenblume in meinem Chicorée gelangen oder auch nicht. Ich wünschte, das Ganze wäre nicht so ein ideologischer Grabenkampf und man könnte sich aus beiden Welten – Tradition und Technologie – das nehmen, was sinnvoll und zukunftsweisend ist. Umso mehr rührt mich die Liebe zwischen einem Biobauern und einer Pflanzengentechnikerin. Unter kalifornischer Sonne ist eben alles möglich. Gemeinsam wirbt das Ehepaar für nachhaltige Landwirtschaft ohne ideologische Scheuklappen.

Übrigens ist die Anti-Gentechnik-Lobby mitnichten frei von niederen (sprich kommerziellen) Interessen (auch wenn das ihr Lieblingsvorwurf an die Gegner ist). Halten sich Gentechnik-Kritiker eigentlich auch dann für unabhängig, wenn sie Geld von Leuten kriegen, die von Gentechnik-Gegnerschaft finanziell profitieren? Das würde zumindest erklären, warum kaum auf eine Petition aus eigenen Reihen reagiert wurde, die unabhängige Risikoforschung forderte.

Naja, wenn ich schon nicht gegen Gentechnik bin, dann liegt mir zumindest das Wohl der Tiere am Herzen, die bei mir auf dem Teller landen. Ich esse nämlich gern Fleisch. Vielleicht essen wir alle in 30 Jahren Fleisch, dass in der Petrischale wächst (vielleicht aber auch nicht). Bis es soweit ist, wünsche ich mir, dass die Tiere, von denen es stammt, ein gutes Leben hatten (und ein gutes Sterben). Ich könnte mir dessen ganz sicher sein, wenn ich ab heute nur noch Hühner von Annelie Wendeberg esse. So liebevoll sie sie umsorgt, so liebevoll und effizient tötet sie sie. Aber ich fürchte, die Umweltmikrobiologin hält ihre Hühnerschar nur für den Eigenbedarf.

Ich glaube ja, mir selbst würde das Schlachten schwer fallen, wenn ich die Tiere persönlich kenne. Das Hegen und Pflegen kollidiert bei mir emotional zu sehr mit dem Töten. Dabei gab es zumindest eine Situation, in der es ganz gut gewesen wäre, diese Blockade überwinden zu können. Zu Studienzeiten hatte ich mal während einer Überflutung Zauneidechsen Asyl in meinem Terrarium geboten. Nach der Wiederauswilderung fiel eine von ihnen wohl der WG-Katze zum Opfer und kroch mit aufgebissenem Bauch durch’s Gebüsch. Ich war vor lauter Entsetzen unfähig sie von ihrem Leiden zu erlösen. Das musste jemand anders tun.

Andererseits: Mit der Ratte, die auf der Flucht vor dem Fluten den Weg in mein WG-Zimmer fand, hätte ich kurzen Prozess gemacht. Die habe ich nur nicht hart genug erwischt mit dem Schrubber, mit dem ich mich bewaffnet hatte.

Tötungshemmung verspüre ich auch so gar keine, wenn’s um andere unerwünschte Untermieter wie Kakerlaken geht. – Auch für fernsteuerbare Kakerlaken mache ich übrigens keinerlei Ausnahmen. – Wem die Existenz von solchen so neu ist wie mir: Ja, die gibt’s wirklich. Creepy, oder?

Und da wir schon bei Tod und Sterben sind: Wer in Geldnöten auf die Idee kommt, seinen eigenen zukünftigen Leichnam an die Anatomie zu verscherbeln, hat Pech gehabt. Nehmen tun sie den Körper später zwar gerne, aber geben tun sie einem dafür nichts. – (Übrigens: Körper-Teil-Verkäufe bringen’s auch nicht. Sperma-Spender müssen sich mit Visionen von tausenden Kindern rumschlagen und vom Blutplasma-Spenden kriegt man auf die Dauer junkiemäßige Einstichnarben (ja, ich hab das mal ausprobiert, statt Schülerjob, aber neee).

Rätsel-Auflösung: Oh süß, ein Rehkitz?

Tiergarten_Hirschkalb

Wie Regina schon richtig auflöste, hätte die Frau neben uns korrekterweise „Oh süß, ein Hirschkalb!“ rufen müssen. Warum?

Dybowskis gehören zu den Echten Hirschen. Bei ihnen kriegt der Hirsch mit seinen Hirschkühen kleine Hirschkälber. (Die Jäger haben dann noch lauter Extra-Namen für jedes Alter und die unterschiedlichen Geweihgrößen.)

Für die Rehe (die mit Rentieren und Elchen zu den Trughirschen gehören) gibt es eigene Bezeichnungen, die auch aus der Jagdsprache kommen. Hier kriegt die Ricke / Geiß mit dem Rehbock ein Rehkitz.

Dass Rehe und Hirsche von Laien oft als Weibchen und Männchen der gleichen Tierart gesehen werden und Rehkitze als ihre Jungen, ist übrigens u.a. die Schuld von Disneys Zeichentrickfilm Bambi bzw. seiner fehlerhaften Übersetzung ins Deutsche.

Das Buch zum Bambi-Film ist deutsch und spielt in Europa. Dort ist Bambi ein Reh. Die amerikanische Übersetzung und damit der Film macht ihn – auch optisch – zum Weißwedelhirsch, weil es dort keine Rehe gibt. Die deutsche Rückübersetzung ignorierte diese Verwandlung und bezeichnete Bambi wie die Buchvorlage als Rehkitz. Die verursachte zoologische Verwirrung wird auch als Bambi-Irrtum bezeichnet.

Rätsel des Monats: Oh süß, ein Rehkitz?

„Oh, schau‘ mal, ein Rehkitz!“ hörten wir im Tiergarten einmal jemanden rufen. Was die Entzückung hervorrief, war eins dieser kleinen Bambis im Gehege der Dybowskis.

Das Foto, das ich damals schoss, ist leider nicht besonders gut. Könnt ihr trotzdem erkennen, warum die „Oh, süüß!“-Ruferin sich hier irrt?

Für die Lösung des Rätsels winken – wie immer – Ruhm und Ehre. Viel Spaß!

P.S. Ich habe beschlossen, mein „Rätsel der Woche“ in „Rätsel des Monats“ umzubenennen. 

Vom Tier zum Tintenfischring

Weichtiere02In Deutschland wird Tintenfisch ja meist in Form panierter und frittierter Ringe verspeist. Ganze Kalmare liegen hierzulande selten in der Küche rum. Bei mir ist das nicht anders. Der Kalmar, der letztens den Weg in meine Küche gefunden hat, war eigentlich das Demonstrationsexemplar für den Kindergarten, wo ich was über die Welt der Weichtiere erzählt hatte. Er war aber auch DIE Gelegenheit meine ersten Tintenfischringe selbst zu schneiden. Vom Tier zum Tintenfischring weiterlesen

Weichtier-Kunde für Kiga-Kinder – Kroatien (5)

Weichtiere14Gestern morgen war ich zu Gast in der Kindergarten-Gruppe meines Kleinen um über Tiere zu reden. Nicht über Bauernhof-, Zoo- oder Wald-Tiere, sondern über die, deren Schalen am Urlaubsstrand überall herumliegen: Schnecken und Muscheln. Und über ihre Verwandten – die Tintenfische.

 

Mein Minikurs in Weichtierkunde für Kiga-Kinder ging ungefähr so (mit kleinen Ergänzung, die mir erst beim Schreiben einfielen):

Ich schütte einen Haufen unserer Fundstücke aus Kroatien in die Mitte des Stuhlkreises und frage:

  • Weiß jemand, was das ist?
  • Natürlich rufen die Kinder sofort von allen Seiten „Muscheln!
  • Hmmh, stimmt, viele dieser Schalen sind von Muscheln, aber schaut mal hier… es sind auch die Schalen anderer Tiere dabei, die Häuser voooon… :

Weichtiere10

  • Kinder: „Schnecken!“

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Buschmalven-Liebe

Buschmalve1Sommergefühle pur beschert mir gerade meine Buschmalve vor der Terrasse. Und ich bin nicht allein in meiner Liebe zu ihr. Jede Menge Bienen und Hummeln umschwirren sie jeden Tag. Sie blüht wie eine Wilde. Und scheint in ebenso wilden Mengen Nektar an alle zu verteilen, die vorbeikommen.

Habe mich vorhin zur Abwechslung nicht nur genießerisch in den Liegestuhl daneben gelegt, sondern mal fotografiert, was da so an Blütenbesuchern unterwegs ist. Buschmalven-Liebe weiterlesen

Endlich! Ein Feminismus für die Hausfrau (und die Biologin)

Ich bin damit aufgewachsen den Feminismus als wichtige zivilisatorische Errungenschaft anzusehen, auf Augenhöhe mit Demokratie, Meinungsfreiheit und Gewaltenteilung. Trotzdem kann ich mich kaum noch mit dem identifizieren, was heute so unter Feminismus läuft. Als (fast) Hausfrau kann ich mit seinen Zielen nichts anfangen und als Biologin mit seinen Grundannahmen genauso wenig.

Aber gestern schöpfte ich Hoffnung, dass es doch wieder einen Feminismus geben könnte, wie ich ihn mir vorstelle. Und diese Hoffnung ereilte mich ausgerechnet bei der Lektüre von Christians Alles Evolution-Blog, wo in Sachen Feminismuskritik jeden Tag die Fetzen fliegen. Endlich! Ein Feminismus für die Hausfrau (und die Biologin) weiterlesen

Hilfe, mein Kind isst nur nackte Nudeln!

Dies ist ein Plädoyer für Gelassenheit und Vertrauen. Wenn ich meinem eigenen Selbst von vor 8 Jahren ein paar Tipps geben könnte, dann würde ich dieser perfektionistischen Frischmutter eines Kleinkindes, die ich damals war, so Sachen sagen wie: „Locker bleiben! Das ist nur ein Phase!“ oder „Probier einfach aus, womit sich alle Beteiligten am wohlsten fühlen“. Gerade beim Thema Essen, werde ich zunehmend entspannter. Aber das war nicht immer so. Hilfe, mein Kind isst nur nackte Nudeln! weiterlesen

Ein Unfall

Gestern: Ein Schrei und plötzlich liegt ein Mensch auf der Fahrbahn. Ich sprinte vorwärts. Es sind schon ein paar Leute an der Unfallstelle. Kann ich was tun? Den Krankenwagen rufen? Nein, eine Frau hat schon ihr Handy am Ohr.

Der Verkehr! Ich stelle mich winkend auf die Straße und lenke die Autos auf die zweite Spur.

Ich werfe einen Blick zurück. Leute knien und halten eine Hand. Ich sehe eine Brust, die sich hebt und senkt. Einen Arm, der sich bewegt. Es ist eine alte Frau. Ihr Rollator ist ein Stück weiter. Hat das Auto dort sie angefahren?

Andere kommen und helfen, den Verkehr um den Unfall herum zu dirigieren. Eine Warnweste wird aus einem Autofenster gereicht.

Die Sanitäter kommen. Der Hals der Frau wird stabilisiert.

Der Notarzt parkt seinen Wagen mit Blaulicht vor dem Unfall. Jetzt sehen die Autofahrer schon von weitem, dass sie auf die andere Spur müssen. Wir Verkehrshelfer werden nicht mehr gebraucht.

Soll ich weitergehen? Will kein Gaffer sein. Aber kann nicht weg. Will noch mal sehen, dass sie sich bewegt. Ja, da!

Ich stehe und schaue. Bis die Trage im Krankenwagen verschwindet.