Ich war zwar nicht in Berlin, aber habe in den letzten Tage viele Videos mit Vorträgen der Republica gesehen. Als für mich besonders bedeutsam habe ich natürlich vor allem das empfunden, was mit meinen Blogger-, Familien- und Wissenschaftsthemen zu tun hat. Da gab es jede Menge Bestätigendes, Zerknirschendes, Inspirierendes, das mir hilft meine eigene Position zu wichtigen Fragen zu finden.
Eine Bekannte fragte mich vor ein paar Wochen, ob ich denn auch auf die Republica fahre. Ich sei doch Bloggerin. Meine Antwort war ein etwas Verdattertes: „Ich? Äh, nee…“ Ich war tatsächlich vorher noch nie auf die Idee gekommen deswegen nach Berlin zu fahren, zu all den Bloggern, Netzaktivisten und anderen Online-Leuten.
Das liegt nicht daran, dass mich die dort besprochenen Themen kalt ließen. Im Gegenteil. Es liegt eher daran, dass alle Vorträge, die dort gehalten werden, auch im Netz frei verfügbar ist. Eine alte Stubenhockerin wie ich muss ihr trautes Heim also nicht verlassen um zuzuhören.
Was aber war für mich besonders relevant?
Da die Wissensküche in gewisser Weise ein Zwitterwesen ist – halb Wissenschaftsjournalistenblog, halb Mama-Blog, interessierten mich sowohl Vorträge zu Familienthemen als auch welche zur Vermittlung und Bewertung von Forschung und wissenschaftlichem Denken.
Ist Muttersein politisch?
Zur ersten Kategorie gehörte der Vortrag über den Online-Elternclan: Zur gesellschaftlichen Bedeutung von Elternblogs. Die Haupt-Funktion von Familienblogs liege darin, so Susanne Mierau von geborgen-wachsen.de, den Alltag mit Kindern darzustellen. Wie kann man Familie heute leben? Gerade wenn die Ursprungsfamilie weit weg ist und Freunden vielleicht noch keine Kinder haben, sind Familienblogs Orte des Austauschs oder auch Vorbild.
Politisch wird es für Familienblogger dort, wo ihnen Zensur begegnet. Fotos von Geburt und Stillen etwa werden in Facebook und Twitter entfernt, weil solche Bilder im Firmen-Heimatland USA als anstößig gelten. Für Mierau zeigt das, wie wichtig es ist, die Kontrolle über seine Inhalte nicht abzugeben und bevorzugt im eigenen Blog zu schreiben.
Das fand ich einen wichtigen Punkt, weil ich auch durchaus gesellschaftlich noch Nachholbedarf sehe, diese Biologie-nahen Mutterthemen wie Schwangerschaft, Geburt und Stillen zu „normaleren“ Themen zu machen. Weil doch jedes menschliche Leben so anfängt. Und weil ich mir wünsche, dass die Scham-und Ekelgefühle, die für einige Leute damit verknüpft sind, langsam ebenso altmodisch werden wie es sexuelle Verklemmtheiten (meist) schon sind.
Wissenschaft rüberbringen
Der Biologe und SciLogs-Blogger Martin Ballaschk hielt einen Vortrag zum Thema: Wen erreicht die Wissenschaft mit Blogs wirklich? Wie anderen Wissenschaftsbloggern geht es ihm in seinem Blog Detritus darum, den Stand der Forschung allgemeinverständlich darzustellen. Er macht es sich vor allem dort zur Aufgabe, wo die durchschnittliche öffentliche Meinung sehr weit entfernt ist vom Konsens der Wissenschaft – etwa bei Gentechnik, Impfen, Chemikalien.
Deswegen ist für ihn besonders wichtig zu wissen, welche Methoden überhaupt geeignet sind, Mythen in den Köpfen der Leute durch Fakten zu ersetzen. Ballaschk stellte einige Ergebnisse der diesbezüglichen Meta-Forschung vor.
Wenn man die Leute von der wissenschaftlichen Seite überzeugen will, dann ist die richtige Präsentation wichtig (z.B. nicht zu wenige und nicht zu viele Fakten), aber auch eine harte Moderation der Kommentare. Denn ein Artikel kann noch so ausgewogen Chancen und Risiken darstellen. Wenn sich darunter aggressive Kommentatoren austoben dürfen, bleibt beim Leser eher deren lautes Risiko-Geschrei hängen als die Ausgewogenheit des ursprünglichen Artikels.
Ich denke, die Frage, wie man die Leute von der wissenschaftlichen Sicht der Dinge überzeugt, stellt sich wohl jedem Science Blogger. Allerdings stelle ich in Frage, dass es immer um die harte Überzeugungsarbeit gehen muss. Ich bin ich da persönlich auf einem etwas anderen Trip.
Ich finde die naturwissenschaftlichen Methoden sehr nützlich und das damit produzierte Wissen unendlich faszinierend. In der Konfrontation mit Überzeugungen aus anderen Kontexten wie Glauben, Esoterik oder Ideologie geht es mir aber nicht darum, Andersdenkende umzustimmen, sondern eher darum zu erklären, warum ich persönlich die Antworten der Wissenschaft bevorzuge.
Das liegt mir mehr, hab ich festgestellt. Und ich denke, dass solche Stimmen wie meine auch gebraucht werden – als gute Ergänzung zu der wichtigen Arbeit von Leuten wie Martin Ballasch, die immer wieder detailliertes, argumentatives Gegengift produzieren zum Erkennen, Einordnen und Kontern anti-wissenschaftlicher Propaganda.
Weg vom Entweder-Oder
Christiane Frohmann plädierte in ihrem Vortrag für den Wert des künstlerischen Remixes von Wissenschaft und Hochkultur auf der einen und Pop und Trash auf der anderen Seite. In ihr Video bin ich eher aus Versehen reingestolpert, bin aber froh, dass ich mich da verklickt hatte. Der Titel wäre mir sonst zu feuilletonistisch gewesen um mein Interesse zu wecken: Unsinn stiften als performative Aufklärung. Ein Vortrag im Sinne des Katersalons.
Tatsächlich ist die Frau sehr geistes- und kulturwissenschaftlich geprägt, was ja traditionell mit einer eingebauten Skepsis gegenüber dem Anspruch der Naturwissenschaften einhergeht, die Welt erklären zu wollen. Glücklicherweise steht die Abwertung von anderen Wissenschaftdisziplinen nicht im Zentrum, sondern eher die Öffnung gegenüber Popkultur und Internet-Trash.
Frohmann feiert die Leute, die sich vom Entweder-Oder abwenden als moderne Aufklärer. Leute, zu denen sie sich auch rechnet, und denen in ihren Augen die Zukunft gehört. Für die es dazu gehört, Niveaus und Sphären auf eine Weise zu mischen und zu konfrontieren, die Andere oft befremdet.
Ich kann damit was anfangen, wenn ich das übertrage auf das, was ich hier in der Wissensküche verknüpfen will und was für viele sicher auch in unterschiedlichen Sphären und Niveaus zu Hause ist und sein sollte. Dass ich mein Muttersein thematisiere und diesen Blick verbinden will mit Wissenschaftsthemen, die ich auf hohem Niveau zu diskutieren gewöhnt bin. Das könnte, glaub ich, für viele auch irritierend sein. Wenn ich versuche, das private Emotionale und das öffentliche Intellektuelle zusammen zu zerren.
Werte haben dürfen
Einen Nerv getroffen hat für mich zudem Lorenz Lorenz-Meyers Vortrag über den Journalismus und die guten Sachen. Der Titel bezieht sich auf das in Deutschland wohl berühmteste aller Journalistenzitat: „Gute Journalisten erkennt man daran, dass sie sich mit einer Sache nicht gemein machen, selbst mit einer guten nicht.“
Beliebte Fehlinterpretationen davon führen laut Lorenz-Meyer dazu, dass Journalisten ihre Unparteilichkeit bis zur Beliebigkeit übertreiben und es fälschlicherweise unseriös finden, Stellung zu beziehen.
Ich selbst hatte mit diesem Zitat und seiner salbungsvollen Wiedergabe in jedem Buch für angehende Journalisten auch meine Schwierigkeiten. Es hat mir am Anfang vermittelt, ich sei keine gute Journalistin, wenn mich Interviewpartner beeindrucken und ich ihre Sache unterstützungswert finde.
Aus diesem Quatsch habe ich mich zwar schon versucht selbst rauszuwinden die letzten Jahre , trotzdem war es geradezu heilsam für mich, das auch ein Journalismus-Prof bestätigt, dass es nicht nur erlaubt sei für Werte einzutreten, sondern oft sogar notwendig.
Die Haltung im Vortrag würde ich in meinem Worten so ausdrücken: Journalistische Unabhängigkeit heißt nicht, dass man sich aus allem raushält und niemals mit Aktivisten an einem Strang zieht, sondern „nur“, dass man sich stets die innere Freiheit erhält, neue Info aufzunehmen, andere Argumenten mit einzubeziehen und neue Schlussfolgerungen zu ziehen.
Wie Geld verdienen?
Für mich und die Wissensküche ebenso unmittelbar interessant war auch die von Podcaster Philip Banse moderierte Diskussion: Lohnt sich Onlinejournalismus überhaupt noch? Das Problem der Monetarisierung. Mit dabei:
- Crossmedia-Spezialistin Claudia Heydolph, die u.a. einen Blick warf auf die Konkurrenz durch klassischen Printhäuser, die inzwischen in allen Medien zu Hause sind.
- Tech-Blogger Sascha Pallenber, der über die Finanzierung seiner Angebots durch Werbung redete, aber auch über die Einbußen durch Adblocker.
- Journalist und Blogger Richard Gutjahr, der das von ihm mitentwickelte neue Micropayment-System Laterpay vorstellte und von ersten Erfahrungen damit berichtete.
Klar wurde, dass man ein großes Publikum braucht um mit Werbung Geld zu verdienen. Ebenso klar wurde, dass überall experimentiert wird, unter welchen Bedingungen auch die Leser bereit wären, für Inhalte selbst zu zahlen.
Huch, die Video-Jugend ist ja professionell
Wie letztes Jahr auch schon eröffnete mir auch diesmal die Youtuber-Veranstaltung am meisten neue Welten: YouTube and the new News. (Video dazu auf Youtube). Das Thema ist für mich als Bloggerin interessant, aber vor allem auch als Mutter. Ich war nach dem Video verwirrt, zerknirscht, aber vor allem beeindruckt. Wenn ich LeFloid, Fräulein Chaos und Mr. Trashpack so sehe, muss ich doch ein bisschen Abbitte leisten wegen meiner Vorurteile. Wirklich!
Was im Bereich Video entstanden ist, lief für mich ehrlich gesagt lange eher unter trashiger Jugend-Popkultur und zwar von der Sorte, mit der ich wenig anfangen kann. Auch weil es nur um Lifestyle zu gehen schien – Schminken, Videospiele und pubertäres Gelaber.
Ich fühlte mich meist spießig und steinalt mit meinen Ü30, wenn ich mir das anguckte, und rollte genervt mit den Augen wegen der schnellen Schnitte, dem vielen Boom, Peng, F*ck und wegen der für mich völlig übertriebenen Emotionalisierung von allem.
Aber selbst ich kann sehen, dass manche von den Youtube-Kanälen inzwischen einen Grad an Professionalität erreicht haben, der schlicht Wahnsinn ist. Eine technische Kompetenz, einen Umgang mit der Interaktivität des Mediums, ein tiefes Verständnis für das eigene Publikum, ein selbstbewusstes Geldverdienen (was dort eben auch möglich ist!).
Und auch für mich ist inzwischen deutlich sichtbar, dass da zwischen albern bis derbem Jugendsprech in Comic-Kulisse tatsächlich ein inhaltlicher Qualitätsanspruch gewachsen ist. Mit eigenem Selbstverständnis und eigenen Antwort auf all die Fragen, die in anderen Vorträgen auch Thema waren und die die Digitalkultur nun mal mit sich bringt.
LeFloid muss aber niemand mehr erzählen, dass man Sympathien, Werte und eine starke Meinung haben und doch unabhängig kommentieren kann. Und dass ernste politische Themen eine Mischung mit Emotionen und Popkultur durchaus vertragen, jedenfalls in den Augen der Jugend. Der Mann ist wahrscheinlich die wandelnde „perfomative Aufklärung“. Und das vor Millionenpublikum.
Obwohl ich bezweifle, dass Kulturwissenschaftlerin Frohmann das so sehen kann, weil sie zwar Liebhaberin des Unsinns ist, aber auch erwähnte, mit dem Internet-Geschmack ihrer Kinder so ihre Probleme zu haben… 😉 Überhaupt ist der Generationen-Clash deutlich. Auch Blogger und Moderator Johnny Hauesler pendelte zwischen Anerkennung und Fremdeln, obwohl er halbwüchsige Söhne hat, die versuchen ihm zu helfen, die Bedeutung von Youtube für ihre Generation zu verstehen (was er ja auch in dem genialen Buch „Netzgemüse“ schon beschrieben hat, über das ich hier schon mal berichtete).
Übrigens beobachte auch ich den Trend, der aus dem Publikum heraus erwähnt wurde, dass bei der Jugend oft „Youtuber“ als Berufswunsch genannt wird. Sogar bei 9- bis 12-Jährigen schon. Ich erwäge, meinen Jungs bei Bedarf LeFloids Tipps aus der Diskussion zeigen. Er gab dort nämlich zu bedenken, dass die ganze Technik dahinter nicht jedem liege. Es sei viel Arbeit und man brauche viel Leidenschaft dafür. Er riet daher, das Machen von Videos als Hobby auszuprobieren und zu gucken, was sich daraus entwickelt. Solche Bodenständigkeit aus dem – sonst schimpfwörter-schleudernden – Mund eines Youtubers – das wärmt das Mutterherz… 😉