Wie schlimm ist Wissenschafts-PR im Journalismus-Pelz?

Pressemitteilungen sind längst nicht mehr nur Mitteilungen an die Presse, sondern können dank Internet direkt vom Leser konsumiert werden. Einige Science Blogger mit journalistischen Idealen sehen das sehr kritisch. In ihren Augen ist PR grundsätzlich schlechter als Journalismus. Aber stimmt das wirklich? Wissenschafts-PR-Leute sehen das naturgemäß anders. Und ich? Ich setze mich mit meiner Meinung entschlossen zwischen alle Stühle …

Pressemitteilungen zu kopieren und auf seine Internetseite zu stellen ist nicht nur kostenlos und legal, sondern von den Pressestellen sogar erwünscht. Das gilt auch für die aus Forschung und Wissenschaft. Wer ständig frischen Content für seine Science-Webseite braucht, kann sich da also beliebig bedienen. Das lässt sich auch weitgehend automatisieren, wenn man die Pressemitteilungen per RSS beim Informationsdienst Wissenschaft abonniert.

Wenig überraschend gibt es daher kommerzielle Webseiten, die auf diese Weise mit Werbung Geld verdienen, wie myscience.debiologie.de oder mygeo.info. Sie listen Pressemitteilungen unter Aktuelles oder Nachrichten. Aber auch der Verband deutscher Biologen stellt aus Biologie-Pressemitteilungen seine News zusammen,

Der beliebte US-Science-Erklärer Joe Hanson stieß im Dezember in seinem Youtube-Kanal It’s ok to be smart eine Debatte über eine derartige Verwendung von Pressemitteilungen an. In den USA gibt es ungleich größere Portale in diesem Stil und Hanson kritisiert, dass diese Science-Sites ihre Leser irreführen, wenn sie Pressemitteilungen als News präsentieren. Das suggeriert für ihn fälschlicherweise, dass es sich dabei um journalistische Produkte handelt. „Ich sehe, wie diese Nachrichten ständig geteilt werden, aber… es sind keine echten Nachrichten„, betont er auch im zugehörigen Blogbeitrag. „Pressemitteilungen sind Marketing-Material“ und somit nicht geeignet als alleinige Informationsquelle. Ebenso wenig wie die Angaben eines Autohändlers, der einem einen Wagen verkaufen will.

In einem deutschsprachigen Teil der Diskussion prangerte auch Astronom und Science Blogger Florian Freistetter die Tendenz an, Pressemitteilungen von Unis und Forschungsinstituten ohne eigene Recherche zu etwas zu verwursten, was so aussieht wie journalistische Artikel. Facebook sei voll davon. Er meint: „Pressemitteilungen sind eine durchaus relevante Informationsquelle. Aber man muss sich dabei eben bewusst sein, was Pressemitteilungen sind und was sie nicht sind. Sie sind keine wissenschaftliche Facharbeit. Sie sind keine objektiven Informationen. Sie sind PR für die Forschungseinrichtung und die beteiligten Wissenschaftler und dazu da, beide im besten Licht erscheinen zu lassen.“

Dem Science Blogger Markus Pössel war diese wohl gemeinte Aufklärung mit etwas zu viel PR-Bashing verbunden. Vor allem Hansons Vergleich von Pressemitteilungen mit den Aussagen eines Gebrauchtwagenhändlers scheinen ihn in seiner Ehre angegriffen haben. Denn der Astronom macht unter anderem Pressearbeit fürs MPI für Astronomie und fühlt sich und diese Arbeit davon abgewertet. Hinter den länglichen Begriffsdiskussionen in seinem Beitrag dazu (Wissenschaft und Journalismus als Marketing/PR) verstecken sich daher auch ein paar Pfeile gegen den Wissenschaftsjournalismus, die sich überspitzt formuliert so lesen ließen: Die Pressestelle eines seriösen Forschungsinstituts als Gebrauchtwagenhändler? Absurd! WENN einer mit einem Gebrauchtwagen-Händler vergleichbar ist, dann doch der, der was verkaufen muss und das ist nicht die Wissenschafts-PR, sondern doch eher der Journalismus.

Fühlt sich da der Falsche angegriffen? Das kann man so sehen. Die Kritik der Science Blogger galt schließlich den „Verwurstern“, also Newsportale im Internet, deren „Nachrichten“ zu 100% aus umgestylten Pressemitteilungen besteht. Sie werden als unseriös gebrandmarkt. Außerdem soll die Kritik eine Aufklärung für Leser sein, die sich von der falschen Verpackung bitte nicht hinters Licht führen lassen sollen.

Verständlich ist trotzdem, dass sich ein Wissenschafts-PR-Mensch aufregt, wenn zum Zwecke dieser Aufklärung das Ideal beschworen wird, dass sich Journalisten immer nur dem Leser und der Wahrheit verpflichtet fühlen, während es ja der – natürlich weniger hehre – Job der PR-Leute ist ihrer Institution zu dienen. Er wehrt sich dagegen, weil das die Texte von Öffentlichkeitsarbeitern grundsätzlich minderwertiger macht als die von Journalisten.

Insofern ist die Frage der Seriosität von PR vs. Journalismus von der Verwurstungs-Diskussion um die Pressemitteilungen nicht wirklich trennen. Pösser hat doch recht, wenn er herausstreicht, dass der Journalismus nicht überall so unabhängig ist, wie er sich gerne sieht. Er muss sich verkaufen. Und das hat manchmal Nebenwirkungen der unseriösen Art. Auch wenn Sachlichkeit gefordert wäre, ist der Journalismus in Versuchung aufbauschend und zuspitzend zu sein, weil das schlicht mehr Leser findet.

Ich finde sogar: Wenn es um das sachliche Vermitteln von Inhalten geht, ist es eher die Regel als die Ausnahme, dass die Pressestelle einer Wissenschaftseinrichtung mehr Raum, Ressourcen und Freiheiten hat, der Sache angemessen zu berichten als es Journalisten haben, die auf Emotionalisierung und Vereinfachung setzen müssen, um die Aufmerksamkeit von Lesern zu gewinnen. Man könnte auch sagen: Gute PR kann schlechten Journalismus schlagen.

Warum gilt Wissenschafts-PR unter Bloggern und Journalisten trotzdem als parteiisch und unzuverlässig? Weil eine Pressestelle nie etwas veröffentlichen würde, was dem Ansehen des Instituts schaden könnte. Zu den Aufgaben der PR gehört es auch zu blockieren, zu beschwichtigen und abzulenken, wenn Journalisten über etwas schreiben wollen, dass einen Schatten auf das ehrenwerte Haus fallen lassen könnte. Wer kritisch berichten will oder gar Missständen auf der Spur ist, erlebt Pressestellen nicht gerade als Partner in der rückhaltlosen Aufklärung der Sache. In solchen Situation bewahrheitet sich das Selbstbild des Journalismus. Hier steht Journalismus für Seriosität, Unbestechlichkeit und Wahrheit, während die PR aus Gründen des Image-Schutzes Schönfärberei und verzerrte Wirklichkeit liefert.

Pressemitteilungen zeigen ihre Einseitigkeit aber auch in Fällen, die viel einfacher und weniger moralisch daherkommen. Wer journalistische Kurznachrichten darüber schreiben möchte, welcher Forscher gerade welche Preise bekommen hat oder welche Förderung erhalten hat, muss wissen, dass Pressemitteilungen der Forschungsinstitutionen in der Regel nur „ihre“ Preisträger vorstellen, aber unerwähnt lassen, ob noch mehr dieser Preise vergeben wurden. Wenn ich als Journalistin das unbedarft abschreibe, dann ist das peinlich, weil ich nur ein Teilbild der Wirklichkeit liefere und nicht – wie es mein journalistischer Job wäre – das ganze Bild. Diese Informationen muss man sich aus anderer Quelle besorgen. Etwa aus der Pressemitteilung der Institution, die den Preis vergibt.

Wenn Science Blogger und Wissenschaftsjournalisten sich über Pressemitteilungen aufregen, die so tun als seien sie unabhängige, journalistische Produkte, dann wollen sie sagen: Meine Arbeit ist nicht überflüssig. Texte über Wissenschaft sind besser, wenn jemand sie verfasst, der unabhängig versteht, prüft und gewichtet. Sie schließen aus dem weit verbreiteten Zitieren und Weiter-Verteilen der Mogelpackungen, dass es vielen Leuten nicht auffällt, wenn das alles fehlt. Oder dass es ihnen egal ist.

Ich möchte eine andere, differenziertere Sichtweise vorschlagen: In vielen Fällen liefern Pressemitteilungen ausführliche, interessante Einblicke in die Forschung. Für Leser, die sonst den Journalismus der sensationshungrigen Sorte konsumieren, könnte solche gute Wissenschafts-PR tatsächlich mal eine seriösere Abwechslung darstellen. Sobald es aber um mehr geht als die wissenschaftlich korrekte und allgemein verständliche Erklärung davon, was in diesem einen Labor geforscht wird, sind Journalisten gefragt. Die Einordnung dieser Forschung in größere Zusammenhänge, die ausgewogene Darstellung, wer wie viel Anteil an welchen Erkenntnissen hatte, die Bewertung von Erfolgen genauso wie von Missständen, sind Aufgaben, die unbedingt journalistische Unabhängigkeit erfordern.

Ein gerechteres Fazit wäre daher: Im Kerngebiet des Erklärens von wissenschaftlichen Inhalten und Methoden liefern Pressemitteilungen oft hochwertige Information. In allen Gebieten, die darüber hinaus gehen, kann und darf Wissenschafts-PR den Journalismus aber niemals ersetzen.

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10 Gedanken zu „Wie schlimm ist Wissenschafts-PR im Journalismus-Pelz?“

  1. Eine schöne Aufdröselung des Themas. In dem Zusammenhang ein kurzer Hinweis auf eine aktuelle Bewertung einer Pressemitteilung bei uns beim Medien-Doktor, als Antwort auf deine Eingangsfrage: Eine Pressemitteilung, die am Anfang ganz eigenartig journalistisch daher kommt, um auf diese Weise völlig unbelegte Heilsversprechen für Chronisch Nierenkranke verbreitet.
    http://www.medien-doktor.de/pr-watch/2014/01/tonminerale-helfen-chronisch-nierenkranken/

    Fairerweise muss man sagen, dass es auch im Wissenschaftsjournalismus so viel Licht wie Schatten gibt.

  2. Ah, wusste noch gar nicht, dass ihr jetzt auch PR-Watch macht. Das ist super! Lese die Bewertungen im medien-doktor.de immer wieder gerne. Wenn’s um die Hoffnungen von Kranken geht, muss die Messlatte für Texte natürlich besonders hoch hängen. Ich muss vielleicht einschränken, dass sich meine Meinung hier vor allem auf PR über Grundlagenforschung bezieht. Sobald es um Anwendung geht und vor allem wenn die beteiligten Forschen und Institute eigene finanzielle Interessen haben, ist die Darstellung der Wissenschaft im Text bestimmt sehr viel häufiger verzerrt und einseitig.

  3. Der Knackpunkt der Diskussion ist wohl, dass sich Wissenschaftsjournalisten und Wissenschafts-PRler (ich sage lieber: Forschungssprecher, da es ja bei ihrem Job um weit mehr geht als um PR) als Konkurrenten verstehen. Sind sie nicht, sie spielen im Kommunikationsnetz unserer Gesellschaft unterschiedliche Rollen: Ohne die Forschungssprecher würden die Journalisten (mit Ausnahme einiger weniger Superspezialisten) meist gar nicht erfahren, was an einem Institut geschieht), ohne Journalisten fehlt die distanzierte Darstellung, die gesellschaftliche Perspektive, der Überblick und die kritische Einordnung des Geschehens. Die unterschiedlichen Sichtweisen beider Partner sind hier super dargestellt.
    Noch ein Wort: Blogger, die lediglich Pressemitteilungen ins Web stellen, betreiben keinen Journalismus. Oft aber begehen sie die Todsünde aller Glaubwürdigkeit: Sie verschweigen, dass dies nicht ihre eigenen Texte sind, sondern Pressemitteilungen anderer. Etwas weniger schlimm, aber vielleicht viel häufiger: Aus der einzigen Quelle einer Pressemitteilungen eigene Texte formulieren und gar nicht weiter recherchieren.

  4. Ist „schlimm“ das treffende Wort für diese Problematik? Ohne vernünftige PR gibt es kaum vernünftige Artikel. Ich erwarte von den Journalisten, ihre Hausaufgaben zu machen. Das muss ich als Pressesprecher auch. Und ja, ich bin auch immer wieder über diesen „Copy and Paste“-Journalismus überrascht. Ich denke, Leser merken schnell, wie der Hase läuft.

  5. Ich vermute jetzt mal ganz stark, dass die meisten Webseiten, die als einzigen aktuellen Content Pressemitteilungen durchreichen, sich nicht als journalistische Medien verstehen, auch wenn sie „News“ drüber schreiben. Ich habe da auch so Ein-Mann-Unternehmungen vor Augen, die automatisiert aggregieren und ebenso automatisiert Werbung dazwischen montieren.

    Mir ging’s darum, ob DIESE Praxis wirklich so schlimm ist.

    Ich finde ja: Manche Pressemitteilungen können für sich stehen und direkt von Lesern konsumiert werden. Andere dagegen liefern nur ein Teilbild oder eine von Eigeninteressen gefärbte Sicht. Meine Meinung zu dieser „Schlimm“-Frage ist also ein ganz klares und eindeutiges: Kommt drauf an… 😉

  6. Was ich mit meiner Überschrift fragen wollte: Wie schlimm ist es, wenn Journalisten ganz fehlen? Das ist die Frage, auf die es für mich hinausläuft, wenn es darum geht, dass PR zunehmend direkt den Leser erreicht – ohne einen dazwischengeschalteten Journalisten. Es gibt Leute, für die das eine ganz furchtbare Entwicklung ist. Ich mit meiner Liebe zur Differenziererei sage aber lieber: Wenn die Pressemitteilung gut ist und nur interessante Forschungsinhalte erklärt, dann ist es oft überhaupt nicht schlimm, wenn Journalisten in der Kette fehlen. Wenn es aber um mehr geht, dann fehlt schon was.

  7. Ich meine damit, dass auch die PR-Leute ihre Hausaufgaben machen müssen. Sie sollten z.B. dafür sorgen, dass es Bilder gibt, die den Journalisten zur Verfügung gestellt werden können. Das hört sich einfacher an, als es ist, aber die Fallstricke des Urheberrechts sind vielen Wissenschaftlern nicht bekannt. Zusätzlich sehe ich meine Aufgabe darin, den wissenschaftlichen Ursprungstext verständlich zu machen und die wesentlichen Punkte herauszuarbeiten und als Ansprechpartner für Rückfragen zur Verfügung zu stehen. Ich meine, viele Wissenschaftler setzen ihre Prioritäten anders als Journalisten und kennen nicht die Arbeitsabläufe der Presse.

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