Dieser Text erschien im März 2014 im gemeinsamen Nachrichten-Portal von web.de, gmx und 1&1. Weil der Blogbereich dort jedoch im April 2018 eingestellt wurde, gibt es den Beitrag jetzt hier im Volltext (vorher waren hier nur Teaser und Link).
Demo am 8.3.14 in NürnbergMich wühlt gerade etwas sehr auf. Ja, es hat mich sogar auf die Straße getrieben. Zum Demonstrieren. Wer Nachrichten verfolgt, hat von dem Grund sicher schon gehört: Der Hebammen-Beruf geht vor die Hunde. Und das nicht erst seit gestern, sondern schon seit Jahren.
Die explodierenden Beiträge zur Berufshaftpflicht entziehen den eh schon gering verdienenden Hebammen Stück für Stück die
Existenzgrundlage. Jetzt kündigen Versicherungsgesellschaften an, sogar ganz aus dem Geschäft auszusteigen und einfach gar keine Haftpflicht für Hebammen mehr anzubieten. Zu viel Risiko.
Über die Konsequenzen wird viel geschrieben und über die muss auch berichtet werden. Denn all die wertvolle Hebammenarbeit, von der ich vor neun und vor sechs Jahren noch profitieren konnte, als meine beiden Kinder geboren wurden, steht entweder auf dem Spiel
oder ist – noch schlimmer – schon längst unter die Räder gekommen.
Wofür es aus meiner Sicht aber bisher noch viel zu wenig Aufmerksamkeit gibt, ist die Ursache dieser Hebammen-Misere. Wer meint, die Beiträge der Haftpflicht steigen, weil so viel Schlimmes passiert bei Geburten, der irrt. Nie in der Geschichte der Menschheit war Kinderkriegen sicherer als heute in den industrialisierten Ländern. Und zwar nachgewiesenermaßen unabhängig vom Geburtsort.
Aber natürlich gibt es auch heute keine 100-prozentige Sicherheit. Weder zu Hause noch in der Klinik. Leider geht nicht immer alles gut. Und für die Betroffenen sind diese Ereignisse dann – egal wie selten – immer tragisch. Sehr tragisch. Da hat sich im Vergleich zu früher nichts geändert.
Geändert hat sich aber, wie Eltern und Gesellschaft darauf reagieren. Und dieser veränderte Umgang zeigt sich in den Gerichtssälen unserer Republik. Und zwar in den schwindelerregenden Summen, die inzwischen im Schadensfall ausgezahlt werden.
Ich mache den Eltern keinen Vorwurf. Wenn einem meiner Kinder während der Geburt etwas passiert wäre wegen eines Fehlers der
Geburtshelfer, hätte ich wohl auch geklagt.
Ich mache auch den Anwälten und Richtern keinen Vorwurf. Sie helfen den Eltern, ihre Ansprüche auf Schmerzensgeld und
Pflegeaufwand einzuklagen. Damit das Kind bis zu seinem Lebensende versorgt ist.
Ich mache auch Krankenkassen und Rentenkassen keinen Vorwurf, denn auch sie haben laut Gesetz das Recht, den Verursacher für all
ihre Mehrkosten mit diesem Kind in Regress zu nehmen.
Wem ich aber einen Vorwurf mache, ist der Politik. Sie schaut nicht nur seit Jahrzehnten zu, wie es mit den Schadenssummen in den
Klagen der Eltern steil bergauf geht, sondern erlaubt es den Sozialversicherungen, der Geburtshilfe noch mehr Last aufzubürden. All die berechtigten Ansprüche an Hebammen, Ärzten und Kliniken, die Mist gebaut haben, klingen vielleicht gerecht, wenn man nur die Verursacher anschaut. Dann vergisst man aber, wer die gigantischen Schadenssummen am Ende zahlt: die Gemeinschaft aller in der Geburtshilfe Tätigen, die auf eine Haftpflichtversicherung angewiesen sind.
Zwar sind es nur ganz wenige Gerichtsprozesse. Aber sie machen allen, die mit Schwangeren beruflich zu tun haben, eine Heidenangst. Und wer denkt, dass diese Angst qualitätssteigernd wirkt, der irrt wieder. Ich verstehe erst im Rückblick, durch das Einlesen in die ganze Problematik, einige Situationen in meinen Schwangerschaften besser. Aber damals! Was habe ich mich geärgert über den Krankengymnasten, der mich wegschickte mit meinem eingeklemmten Nerv, mit der Aussage, er behandle grundsätzlich keine Schwangeren. Was habe ich mich gewundert, über die mühsam verkniffene Angst in den Augen von Ärzten bei manchen Entscheidungen. Was habe ich gestaunt, wie die Hebamme es schafft, unter der Geburt alles zu notieren, was passiert, obwohl es dafür in manchen Situationen nun wirklich nicht die Zeit gibt.
Ist das alles qualitätssteigernd? Wohl kaum. Und wenn durch die Millionensummen im Schadensfall die Haftpflichtbeiträge aller
Beteiligten steigen, dann sinkt die Qualität zusätzlich. Denn wie reagieren die Einzelnen, wenn der Gewinn sinkt, den sie mit ihrer
Tätigkeit erzielen können? Manche nehmen es frustriert hin, andere steigen aus. Wieder andere versuchen, zusätzliche
Einkommensquellen zu erschließen oder schlicht mehr zu arbeiten. Nichts davon fördert das eigentliche Ziel: die bestmögliche
Versorgung von Mutter und Kind.
Liebe Politiker, es gibt jetzt schon viel zu lange ein allgemeines Haftpflicht-Problem in der Medizin und dort vor allem in der
Geburtshilfe. Und dieses Problem gefährdet inzwischen massiv die flächendeckende Versorgung von Schwangeren. Die freiberuflichen
Hebammen haben als erste aufgeschrien, weil sie durch ihren geringen Verdienst das schwächste Glied in der Kette sind. Aber sie sind zugleich nach meiner Erfahrung eine wirklich tragende Säule. Ich will mir daher nicht ausmalen, was alles Schlimmes passiert, wenn sie nicht mehr mit ihren erfahrenen und wachsamen Augen alles vor, während und nach den Geburten begleiten. Es ist allerhöchste Zeit, gegenzusteuern!