Dieser Text erschien im Juni 2015 im gemeinsamen Nachrichten-Portal von web.de, gmx und 1&1. Weil der Blogbereich dort jedoch im April 2018 eingestellt wurde, gibt es den Beitrag jetzt hier im Volltext (vorher waren hier nur Teaser und Link).
Ja, ich bin so eine. Ich habe mein zweites Kind zu Hause bekommen. Und ich kenne die unterschiedlichen Reaktionen darauf. Die Einen schütteln missbilligend den Kopf. Die Anderen dagegen bekommen leuchtende Augen. Dabei kann die Frage des Geburtsortes eine rein pragmatische Angelegenheit sein. Für mich jedenfalls war sie es.
Beim ersten Kind entschieden wir uns für das Krankenhaus. Beim zweiten für unser Zuhause. Und an beide Geburten denke ich gerne zurück. Nicht, weil Gebären so eine tolle Erfahrung wär. Sondern weil ich mich an beiden Orten in guten Händen gefühlt habe
Merken und weil die Freude danach so groß war: Puh! Endlich vorbei! Hallo, mein Schatz! Willkommen!
Aber darf die Frage des Geburtsortes eine sein, die man frei Schnauze entscheidet? Was ist denn mit der Sicherheit? Es gibt Leute, die halten nur Klinikgeburten für sicher. Für sie war ich nur bei meiner ersten Geburt gut aufgehoben – in der direkten Nähe von Ärzten und einem OP-Tisch. In ihren Augen hatte ich bei der Hausgeburt lediglich Glück, dass nichts Schlimmes passiert ist keine vorzeitige Plazenta-Ablösung, schwere Blutungen oder sonstige Geburtsnotfälle.
Und dann gibt es die andere Fraktion, für die es genau andersrum ist. Für sie war ich nur bei der zweiten Geburt in Sicherheit – zu Hause, geborgen, mit der 1:1-Betreuung einer erfahrenen Hebamme. Bei der Klinikgeburt hatte ich dagegen in ihren Augen nur Glück, dass
ich nicht Opfer geworden bin von Vernachlässigung in einer überfüllten Station oder von nebenwirkungsreichen Eingriffen in den natürlichen Geburtsprozess.
Wie passen diese so unterschiedlichen Blickwinkel zu meinem Gefühl, an beiden Orten sicher gewesen zu sein? Eigentlich ganz gut – wenn man sich von dem Anspruch frei macht, dass nur eine Seite recht haben kann. Sicherheit war auch mir wichtig. Sehr wichtig sogar. Aber ich habe mich gefragt: Wann sind Hausgeburten sicher und wann sind sie es nicht? Und um diese Frage zu beantworten, lohnt ein Blick in die Niederlande.
Die Niederlande sind nämlich das einzige Industrieland, in dem Hausgeburten immer Teil der Geburtshilfe geblieben sind. Während in allen anderen entwickelten Ländern die Zahl der Hausgeburten im Laufe des 20. Jahrhunderts auf einen Wert nahe null fiel und die von Ärzten geführte Klinikgeburt zum Standard wurde, gingen die Niederländer einen eigenen Weg. Und so werden heute noch fast ein Drittel aller niederländischen Kinder zu Hause mit Hilfe einer Hebamme geboren.
Das niederländische System beruht trotzdem nicht – wie man vielleicht denken könnte – auf einer Glorifizierung der Hausgeburt. Diese Möglichkeit steht auch nicht allen offen. Viele Schwangere in den Niederlanden dürfen nicht zu Hause gebären, weil eine Hausgeburt für sie als zu riskant gilt. Wenn es Vorerkrankungen und bestimmte Risiken gibt oder wenn Komplikation auftreten, sind sofort Ärzte in der Klinik für die Geburt zuständig.
Die Forschung zeigt einfach, dass das die Sicherheit für Mutter und Kind erhöht. Was diese begleitende Forschung aber auch zeigt, ist, dass es für Frauen, deren Schwangerschaften ganz normal verlaufen, genau andersrum ist. Und da wird es interessant. Die Frauen mit den normalen Schwangerschaften nämlich sind am sichersten, wenn sie nicht von Ärzten betreut werden.
Das ist für die meisten deutschen Ohren sicher eine ungewohnte Aussage. Aber die Beweise dafür sind solide. Der Grund dafür ist, dass die Medizin – so segensreich sie für riskante Geburten ist – bei
normalen Schwangeren dazu neigt, übereifrig zu sein. Medikamente etwa, die eigentlich nicht gebraucht werden, greifen störend in einen körpereigenen Prozess ein, der ohne diese „Hilfe“ besser funktioniert. Und unnötige Eingriffe erhöhen für Niedrig-Risiko-Schwangerschaften die Gefahr von Komplikationen wieder. Wenn diese normalen Schwangerschaften also allein von Hebammen betreut werden, kommt es statistisch zu weniger Komplikationen.
Die niederländischen Erfahrungen zeigen, dass zu den Aufgaben der Hebammen beides gehört:
- zu erkennen, wann ärztliche Hilfe nötig ist und
- den normalen Geburtsprozess vor medizinischen Eingriffen zu schützen, die nicht benötigt werden.
Damit das für diese Gruppe gewährleistet ist, werden in den Niederlanden standardmäßig alle Niedrig-Risiko-Geburten allein von Hebammen begleitet. Die Kreißsäle für normale
Schwangere sind nicht unter Ärzte-, sondern unter Hebammen-Leitung. Und die Hausgeburten begleiten sie auch selbständig.
Und es hat sich eben auch herausgestellt, dass für normale Schwangere, die von Hebammen betreut werden, beide Orte gleich sicher sind. Die Risiken für Mutter und Kind sind in dieser
Gruppe bei Haus- und Klinikgeburt auf ähnlichem, sehr niedrigem Niveau. Weder die Sterblichkeit von Neugeborenen noch die Rate derer, die mit schlechten Vitalwerten geboren werden, sind bei geplanten Hausgeburten höher. Im Gegenteil.
Ja, die Zahlen für die geplanten Hausgeburten sind sogar mindestens so gut wie die der geplanten Klinikgeburten. Und das, obwohl in der Gruppe der geplanten Hausgeburten ja viele Verlegungen ins Krankenhaus eingerechnet sind und dies ja auch einen Risikofaktor darstellt.
Ich weiß, dass das viele überraschen wird, die nur die Klinikgeburt für sicher halten. Und klar werden sie diese Zahlen anzweifeln. Aber es gibt auf der Welt keine besseren Daten zu Hausgeburten als diese. Sie wurden aus Hunderttausenden von Geburten errechnet, die im zentralen Geburtsregister erfasst sind.
Aber für diejenigen, die am liebsten sähen, dass alle Kinder zu Hause geboren werden, sind die Daten auch schwer zu schlucken. Denn sie zeigen, dass die Sicherheit von Hausgeburten ganz klar darauf beruht, dass sie allein Niedrig-Risiko-Schwangeren offen steht. Und darauf, dass eine Klinik innerhalb von 20 Minuten erreichbar ist, falls ein Risiko sich erst während den Wehen zeigt.
Wenn diese Voraussetzungen aber erfüllt sind – wie bei mir – sind Hausgeburten hierzulande genauso sicher wie die in den Niederlanden. Ich habe mich in den Händen der
Hausgeburtshebamme nicht nur genauso gut aufgehoben gefühlt wie vorher in denen der Klinikhebamme, ich war es auch tatsächlich.
Hier noch ein paar Links zu den englischen Fachartikeln über die niederländischen Studien, auf die ich mich beziehe. In ihnen werden Haus- und Klinikgeburten von Niedrig-Risiko-Schwangeren verglichen bzw. die von Hebammen geleiteten Geburten mit denen, die von Ärzten geleitet werden.
Vergleich Gesundheit der Kinder
Diese Studie fand bei Hausgeburten von Niedrig-Risiko-Schwangeren kein erhöhtes Risiko für die Kinder unter der Geburt Schaden zu nehmen:
Perinatal mortality and morbidity up to 28 days after birth among 743 070 low-risk planned home and hospital births: a cohort study based on three merged national perinatal databases – Abstract des Artikels aus BJOG 2015
Diese Studie warnt davor, die Geburtskliniken zu sehr zu zentralisieren, weil das Risiko für die Kinder steigt, wenn der Fahrtweg zur Klinik länger ist als 20 Minuten:
Travel time from home to hospital and adverse perinatal outcomes in women at term in the Netherlands – Fachartikel BJOG 2010
Vergleich Gesundheit der Mütter
Diese Studie ergab, dass Niedrig-Risiko-Schwangere, die schon mal geboren haben, bei Hausgeburten weniger Komplikationen erleiden als in der Klinik:
Severe adverse maternal outcomes among low risk women with planned home versus hospital births in the Netherlands: nationwide cohort study (Fach-Artikel im British Medical Journal von 2013)
Diese Studie zeigte, dass es eine Gruppe von Niedrig-Risiko-Schwangeren gibt, die von Hebammen-geleiteten Geburten profitieren. Sie erleiden weniger Komplikationen als bei Arzt-geleiteten Geburten:
Severe Adverse Maternal Outcomes among Women in Midwife-Led versus Obstetrician-Led Care at the Onset of Labour in the Netherlands: A Nationwide Cohort Study (Fach-Artikel in PLoS von 2015)