Von der Stimmung auf dem Turm der Sinne-Symposium 2013 habe ich schon berichtet, genauso wie über die beiden ersten Vorträge des Samstags. Hier kommt nun das, was ich vom lästerlichen Samstag-Vortrag Nr. 3 mitgenommen habe.
Auf Ansgar Beckermann hatte ich mich schon gefreut, weil er gut verständliche und humorvolle Vorträge hält (und weil ich durch ihn und seinen Symposiumsvortrag von 2011 weiß, wie eigentlich meine Haltung zum Freien Willen genannt wird).
Der Philosoph enttäuschte meine Erwartungen nicht. Ja, er war an diesem Symposium derjenige, der von den anderen Vortragende am meisten erwähnt wurde, wenn auch nicht unbedingt zustimmend. Das lag wohl daran, dass er etwas sehr Grundlegendes in Frage stellte: die Rede von ‚DEM Ich‘ oder ‚DEM Selbst‘. Er hält nämlich die Verwendung der Worte ‚ich‘ und ’selbst‘ als Substantive nicht nur für ungrammatisch, sondern sogar für eine der größten Fehlentwicklungen in der Geschichte der Philosophie, auf einer Stufe mit der Erfindung der Erbsünde durch Augustinus.
„In Antike und Mittelalter gab es DAS Ich als philosophischen Begriff nicht“ meinte Beckermann, „das war eine Erfindung der frühen Neuzeit.“ Erst im 17. Jahrhundert, als die Philosophen anfingen in ihren Landessprachen zu schreiben, habe sich die Rede von DEM Ich ausgebreitet. Anhand von Originalzitaten aus Descartes‘ Werken und ihren Übersetzungen erklärte Beckermann, wie diese Praxis um sich griff.
Für ihn hängt die Substantivierung des Wortes „ich“ eng zusammen mit dem Dualismus in seiner heutigen Form, also der Idee, dass es in unserem Körper noch etwas Anderes, vom Körper ganz zu unterscheidendes gibt, das Denken und Handeln des Menschen steuert. Die Annahme, dass ein solcher ominöser, innerer Personenkern existiere, sei ein großes Missverständnis, das uns auch heute noch beim Verständnis des Menschen im Wege stehe. Beckermann plädierte daher: „DAS Ich ist Blödsinn! Lassen Sie es! Das Wort ‚ich‘ ist ein Personalpronomen.“
Wenn ich mich schon hier getraut hätte, im Anschluss eine Publikumsfrage zu stellen, dann wäre das wohl diese gewesen: Mir kam die Idee, ob die Rede von DEM Ich nicht vielleicht „nur“ der Ersatz für die Rede von der Seele ist. Vielleicht brauchte die Aufklärung eine Art säkularisierte Seelenvorstellung und Descartes lieferte genau das? Es wurde aber aus Publikum auch etwas gefragt, was in die Richtung ging: Ob die Erfindung des Ichs vielleicht ein Bedürfnis befriedigte, was vorher schon da war, und sich der Begriff deshalb so rasend ausbreitete. Aber das ist wohl alles noch nicht sehr gut erforscht.
Beckermanns Vortragsfolien kann man sich übrigens hier als PDF runterladen.