#symp2013 (2) – Singer und Amunts

TdS Symposium PR Blatt 01-2013 72 DpI RGBIn meinem ersten Post zum Turm-der-Sinne-Symposium letzte Woche hatte ich ja „nur“ über Stimmung und Hintergrund der Veranstaltung geschrieben. Ab diesem zweiten geht’s nun um Inhalte. Ich schlendere noch mal in Gedanken durch die ersten beiden Vorträge und erzähle, was ich so mitgenommen habe.

Weil ich am Freitag abend noch keine Zeit hatte, habe ich leider Christof Kochs Eröffnungsvortrag verpasst.

Mein Symposium startete daher erst Samstag früh mit Wolf Singer. Der Hirnforscher gab einen Einblick in die Fragen, die ihn seit Jahrzehnten umtreiben: Wie wird unser subjektives Empfinden von wahrgenommenen Objekten oder unseres Innenlebens erzeugt? Wie entstehen einheitliche Wahrnehmungen, wenn sie im Hirn nirgendwo räumlich zusammengeführt werden? Ja, wie entsteht diese neuronale Kohärenz, wenn doch Messungen ergeben, dass es keine zentrale Instanz dafür gibt und jede Wahrnehmung in eine Unzahl Teilaspekten aufgesplittert überall im Hirn verteilt stattfindet?

Singers Frankfurter Arbeitsgruppe am Max-Planck-Institut geht seit Jahren der These nach, dass es die ZEITLICHE Kopplung des weit entfernt liegenden Neuronenfeuerns ist, das diese Kohärenz erzeugt, also unsere Wahrnehmung von Einheit eines Objekts oder unserer Selbst. Inzwischen sei aber klar, sagte er, dass die zeitliche Kopplung wohl nur EIN Aspekt ist. Mich beeindruckte seine außergewöhnlich ehrliche Äußerung, dass sie heute weniger nah an der Lösung seien, als sie noch vor 20 Jahren glaubten zu sein. Er erklärte, wie er und sein Team anhand der optischen Wahrnehmung diese Frage untersuchen. Und er betonte, wie wichtig es auch für die angewandte Forschung sei, die Grundlagen neuronaler Kohärenz zu ergründen. Denn nur, wenn man weiß, wie diese normalerweise entsteht, kann man bei psychischen Störungen helfen, bei denen diese Kohärenz verloren geht. Als fruchtbare neue Sicht könne sich dabei erweisen, psychische Störungen als Phasenübergänge eines nicht-linearen Systems zu begreifen, meinte Singer.

Singer ist übrigens einer der Vortragenden, die ihre Folien auf der Turm der Sinne-Seite als PDF zur Verfügung stellen.

Den zweiten Vortrag des Morgens hielt Katrin Amunts. Die Neuroanatomin sprach über ein Thema, das – wie sie erklärte – für andere Hirnforscher oft nur lästiges Rauschen ist: die individuellen Struktur-Unterschiede zwischen den Gehirnen von Menschen. Von Mensch zu Mensch variiert die Größe und Ausdehnung der unterschiedlichen Hirn-Areale sehr. Amunts hat es sich in ihrer Arbeitsgruppe am Forschungszentrum Jülich zur Aufgabe gemacht, Gehirnkarten zu erstellen, die diese Unterschiede abbilden. Diese Wahrscheinlichkeitskarten sind im Internet unter JuBrain zugänglich, vor allem für Medizin und Wissenschaft, aber auch für die interessierte Öffentlichkeit.

Ich fand interessant, dass diese Art von Forschung nicht mit den modernen bildgebenden Verfahren möglich ist, weil ihre Auflösung nicht ausreicht, um etwas über die zelluläre Ebene auszusagen. Und diese braucht Amunts, weil sie nur auf zellulärer Ebene Hirn-Areale so gut voneinander unterscheiden kann, dass sie sagen kann, wo ein Areal aufhört und das andere anfängt. Die Zellarchitektur ist mal dicht, mal locker, mal liegen die Zellen in Schichten. Das sieht man nur unter dem Mikroskop. Was automatisch bedeutet, dass diese Forschung nicht am lebenden Menschen durchgeführt werden kann, sondern Hirngewebe von Körperspendern erfordert, das in mikrometerdünne Scheiben geschnitten wurde.

Auch spannend: mit einer neu entwickelten Technik der Polarisationsmikroskopie kann Amunts inzwischen auch die Faserrichtung der Nervenbahnen in ihren Hirnschnitten rekonstruieren. Eine Information, die man sonst so nicht bekommt, so weit ich weiß.

Im nächsten Teil meiner kleinen Serie wird es um die Vorträge von Ansgar Beckermann und Ulrich Kühnen gehen.

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