Ich bin ja eine eher untypische Biologin, weil mich das, was anderen Naturwissenschaftlern oft nur lästig ist, am allermeisten interessiert: Wenn es nämlich knirscht zwischen Biologie und anderen Disziplinen oder wenn Welt- und Menschenbilder sich mit bestimmter wissenschaftlicher Evidenz schwer tun.
Zum Glück teile ich die Leidenschaft für die Debatte an diesen Grenzflächen mit den Mittelfränkischen Humanisten, die das Nürnberger Museum „Turm der Sinne“ betreiben. Jeden Herbst stellen sie ein wunderbares Symposium auf die Beine, wo Hirn- und Verhaltensforscher, Psychologen und Philosophen über Natur und Kultur des Menschen sprechen und mit einem ungewöhnlich breit interessierten Publikum diskutieren. Diesmal lautete das Thema „Gehirne zwischen Liebe und Krieg“.
Das sind meine persönlichen Eindrücke und Gedanken zum ersten Drittel der Vorträge:
Das Tohuwabohu und der Terror
In seinem dichten und anspruchsvollen Eröffnungvortrag „Mythos, Utopie, Ideologie – der Urkonflikt von Emanzipation und Nostalgie“ erklärte Psychologie-Altmeister Norbert Bischof für mich sehr überzeugend, dass Weltentstehungs-, Trickster- und Helden-Mythen weltweit so ähnlich sind, weil sie symbolhaft die Entwicklung der Psyche in der Kindheit nachbilden.
Diese Mythen zeigen laut Bischof nicht nur die für eine gesunde Ich-Entwicklung notwendigen Phasen, sondern erzählen immer auch von Figuren, die an den psychischen Aufgaben einer Reifungphase scheitern.
Unerwartet politisch relevant war das, was Bischof dabei über die Entwicklung stabiler Ich-Grenzen erklärte. Denn seine empirischen Untersuchen dazu zeigten, dass zwei schon in sumerischen Schöpfungsmythen beschriebenen Störungen dieser Entwicklung jeweils gehäuft bei Rechts- bzw. Linksextremen zu finden ist.
Ich war so fasziniert von diesem mir völlig neuen Blickwinkel, dass ich mir gestern Bischofs Buch zu dem Mythen-Thema bestellt habe. Es ist leider nur noch antiquarisch erhältlich: Das Kraftfeld der Mythen*. Wenn es so gut ist, wie sein neueres Buch Moral – Ihre Natur, ihre Dynamik und ihre Schatten*, das ich letztes Jahr gelesen habe, dann wird das wieder ein intellektuelles Festessen.
Schalter für zarte Bande und das Bedroht-Sein
Samstag früh startete der Tag mit Andreas Bartels‘ Vortrag „Mechanismen der Liebe – Wie Gene und Biochemie uns Amors Pfeil ins Hirn setzen“. Unterhaltsam und mit der Lust an der Provokation verkündete er, dass die Liebe naturwissenschaftlich vollständig geklärt sei. Wir würden den universellen Code bestehend aus dem Hormoncocktail und seinen Hirn-Rezeptoren genau genug kennen, um die Entstehung von Bindung im Tierversuch beliebig auslösen zu können oder zu verhindern. Und zwar sowohl die Partner- wie auch die elterliche Bindung. Ein interessanter, mir neuer Aspekt war, dass sich im Hirnscan beim Menschen das gleiche Bild ergibt, wenn man Leuten Fotos ihrer Bindungspartner zeigt oder Süchtigen Fotos ihres Suchtmittels. Aus dem Verständnis des Systems Liebe könnten sich also interessante neue Ansatzstellen zur Therapie dieser „Fehlnutzung“ in der Sucht ergeben.
Auch Guillén Fernandéz‘ Vortrag „Wir sind Überlebenskünstler – Neurobiologie der Gefahrenabwehr“ berührte für mich neue Punkte. Während das bei Gefahr anspringende Verhaltensprogramm schon lange bekannt ist, ist der Mechanismus seiner schnellen, systemweiten Aktivierung noch Gegenstand intensiver Forschung. Fernandéz Arbeitsgruppe hat einen möglichen Schalter für den „Network Reset“ gefunden, der dabei stattfindet. Diesen zu kennen und beeinflussen zu können, wäre für Menschen therapeutisch interessant, deren Alarm-System auch ohne äußere Gefahr aktiv wird, sprich: solchen mit Angstkrankheiten.
Undifferenzierte Vergebung?
Anders als die zwei ersten Vorträge am Samstag, überzeugte mich Angela Merkls Vortrag nicht ganz. Sie sprach über „Die Biologie des Vergebens – Was im Gehirn passiert, wenn wir verzeihen“. Ich weiß nicht, ob sie es nur im Vortrag ungeschickt ausdrückte oder konzeptionell wirklich so denkt, aber auf mich wirkte es so, als meine sie, Verzeihen sei immer gut – sowohl für das psychische Wohlergehen vom dem, der verzeiht, als auch für seine Beziehungen – und dass jedes Nicht-Verzeihen-Können und -Wollen immer etwas Pathologisches ist.
Mir fehlte da eine Differenzierung analog zu denen der vorherigen Vorträge. Natürlich ist ein Gar-nicht-Verzeihen-Können ähnlich krankhaft wie ein immer angeschaltetes Alarm-System oder wie ein Mensch, der nicht in der Lage ist irgendeine Art von Bindung einzugehen. Aber ist nicht ein Immer-Verzeihen, egal was der Andere tut, genauso pathologisch? Genauso wie ein Gefahren-Alarm-System, das nie angeht oder wie sich emotional an jeden zu binden, der einem über den Weg läuft?
Sind Hirnforscher ungebildet?
Im seinem Vortrag „Des Kaisers neue Kleider? – Das Menschenbild der Neurowissenschaften und die Ethik“ kritisierte der Philosoph Dieter Birnbacher die Bedeutung, die die Gesellschaft der Naturwissenschaft heute zuschreibt. Die Revolution durch die Neuroforschung sei mitnichten so groß wie gedacht, meinte er. Denn die Schlussfolgerungen, die heute etwa aus der Willensfreiheitsdebatte gezogen würden, hätten Philosophen mit naturalistischem Weltbild früher alle schon durchdacht – und zwar auf viel höherem Niveau als darüber heute diskutiert würde.
Da ich Naturwissenschaftler kenne, die vor lauter Herablassung gegenüber den „Laber-Fächern“ nicht merken, wie sehr sie selbst auf dem Parkett des klaren Denkens dilettieren, weiß ich, was er meint. Aber viele Geistes- und Sozialwissenschaftler bekleckern sich in den Debatten auch nicht gerade mit Ruhm, wenn sie meinen, sich mit biologischen Fakten und Konzepten gar nicht auskennen zu müssen, um mitreden zu können.
Aus meiner Sicht dürfen Philosophen der Hirnforschung gerne vorwerfen, das Rad neu zu erfinden statt mal ihren Schopenhauer zu lesen, wenn sie ihrerseits den Vorwurf aushalten, dass ihnen die Demut vor der Empirie fehlt, die schließlich erst die Fakten-Fundamente liefert um zu entscheiden, welches der vielen ihrer so wohl durchdachten Theoriegebäude denn nun die Wirklichkeit am belastbarsten beschreibt.
Aber ich persönlich bin froh, dass es neben denen, die sich – oft zu Recht – über die Gegenseite aufregen, auch Brückenbauer und Wanderer zwischen den Welten gibt, die dafür sorgen, dass doch hin und wieder die Empiriker von Denktraditionen befruchtet und die Meister des reinen Denkens von Evidenz geerdet werden.
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