Letztens hatte ich mal wieder ein „Du bist doch Biologin…“ – Gespräch. Ein Freund von uns hatte im Radio einen Beitrag über Präimplantationsdiagnostik (PID) gehört und fragte sich seitdem, warum es dem Embryo eigentlich nicht schade, wenn man ihm einfach Zellen wegnimmt. „Fehlen die denn danach nicht?“
Ich erklärte ihm, dass die Zellen im frühen Embryo sehr flexibel sind und das ausgleichen können, zumindest bei uns. Dass es zwar Tiere gäbe wie die C. elegans-Würmer, bei denen von Anfang an für jede Zelle festgelegt sei, was aus ihr wird. Dass beim Menschen-Embryo aber während der ersten paar Teilungen noch alles offen ist und das Zellschicksal sich erst nach und nach, im Wechselspiel mit der Umgebung festlege. Bis dahin gleicht das Gewebe Verluste ganz einfach aus. Sprich: Man muss keine Angst haben, dass im späteren Körper etwas fehlt, wenn man eine Zelle wegnimmt.
Mit dieser Erklärung war ich ganz zufrieden bis ich heute in der Stellungsnahme des Deutschen Ethikrats zur PID blätterte und mich der plötzliche Wunsch nach weiteren Ausführungen überfiel… 😉
Aaalso, es stimmt zwar, dass die Untersuchung in Ländern, in denen PID erlaubt ist, an diesen frühen, totipotenten Zellen stattfindet, über die wir geredetet hatten. In Deutschland jedoch sind diese Zellen nach dem Embryonenschutzgesetz geschützt. Selbst wenn der Bundestag beschließen sollte, PID in Ausnahmefällen zuzulassen, dürften diese Zellen in Deutschland nicht um Testen genommen werden. Würde man sie trennen, könnte jede von ihnen einen vollständigen Embryo bilden. So entstehen ja auch eineiige Zwillinge. Weil sie noch das gesamte Entwicklungspotenzial haben, behandelt das deutsche Gesetz jede der Zellen bis ins 8-Zell-Stadium als möglichen Embryo.
Was der Bundestag am Donnerstag in erster Lesung diskutiert sind daher alternative PID-Methoden mit späteren Zellen, deren Entwicklungsschicksal eingeschränkter ist. Sie sind nicht mehr totipotent, sondern nur noch pluripotent.
Stellt sich die ursprüngliche Frage meines Gesprächspartners dadurch wieder neu? Ja und Nein. Denn die Antwort fällt ähnlich aus, auch wenn es sich um ganz andere Zellen handelt. Bei der für Deutschland erwogenen Methode würden Zellen entnommen, die gar nicht den Embryo selbst bilden, sondern sein Ernährungsorgan mit aufbauen, die Plazenta. Doch auch hier gilt: sie sind ziemlich flexibel. Wenn man ein paar von ihnen wegnimmt, gleichen die Anderen das bei ihren Teilungen aus. Die Plazenta entwickelt sich genauso vollständig wie sonst auch.
Hier noch was zum Einlesen in die PID-Debatte:
Ein aktueller Artikel der Zeit zum Votum des Ethikrates mit viel Hintergrund-Infos zum Thema PID
Übersichtliche Fragensammlung zu PID bei SternTV (mit kleinem Fehler allerdings, denn da heißt es, nur gesunde Eizellen würden eingesetzt. Richtig muss es heißen: nur gesunde Embryonen würden eingesetzt.)
Stellungnahme des GBS Ethikrates zur PID.
http://www.giordano-bruno-stiftung.de/pid.pdf
findet meine volle Unterstützung.
LG Jürgen
Wow, eine mutige Stellungnahme der Giordano-Bruno-Stiftung! Ich bin auch für die Zulassung der PID, allerdings nicht für eine vollständige Freigabe, für die die GBS hier plädiert. Trotzdem hab ich den Text mit Genuss gelesen, als wichtiges Gegengewicht für die Moralkeulen, die sonst bei dem Thema geschwungen werden und die manchmal so unerträglich theoretisch sind. Danke!