Archiv der Kategorie: Biologie und Medizin

Über Impf-Ängste, die mich selbst überraschten

Dieser Text erschien im April 2014 im gemeinsamen Nachrichten-Portal von web.de, gmx und 1&1. Weil der Blogbereich dort jedoch im April 2018 eingestellt wurde, gibt es den Beitrag jetzt hier im Volltext (vorher waren hier nur Teaser und Link).

MMR-Impfstoff2

Ich dachte immer, ich sei keine ängstliche Impf-Skeptikerin. Bin ja schließlich Biologin und Fan evidenzbasierter Medizin. Doch als ich entdeckte, dass mir selbst eine Masern-Impfung fehlt, drückte ich mich monatelang vor einer Spritze, die ich doch eigentlich für notwendig hielt.

Ich könnte heute darüber schreiben, dass ich mich habe impfen lassen und warum. Denn das habe ich. Im März habe ich mir die
Spritze geben lassen, die mir fehlte. Viel interessanter finde ich es aber, über die Gründe schreiben, warum ich diesen Impftermin vorher monatelang verschoben habe.

Und nein, es war nicht nur wegen der Zahngeschichte, die dazwischen kam. Klar, mussten da drei Wurzelfüllungen neu gemacht werden. Aber wenn ich behaupten würde, ich hätte deswegen die Spritze verschoben, dann wäre das nur die halbe Wahrheit.

Der andere Teil der Wahrheit hat damit zu tun, dass in meinem Kopf ganz unerwartet ein Stimmchen auftauchte, das flüsterte: Und
wenn du die Impfung nicht verträgst? Wenn sie Nebenwirkungen hat? Wenn du einen Impfschaden kriegst?

Die Existenz eines solchen Stimmchens war mir neu. Klar kenne ich mich als vorsichtigen Menschen. Ich steh‘ nicht so auf Risiko.
Trotzdem bin ich stolz darauf, eine einigermaßen rationale Schisserin zu sein. Sprich: Ich versuche, mich nur vor den Sachen zu fürchten, die auch wirklich gefährlich sind. Wozu hat man denn eine naturwissenschaftliche Ausbildung, wenn sie nicht wenigstens dafür gut ist?

Wenn ich rational rangehe, sollten meine Impf-Entscheidung auf einer Abwägung von Risiken beruhen. Dann weiß ich, dass auch
Impfstoffe Nebenwirkungen haben können, wie jedes andere Medikament auch. Und auch, dass diese im Einzelfall schlimm sein können. Ich weiß aber auch, wie wichtig es ist, dieses Impf-Risiko mit dem Risiko der Krankheit selbst zu vergleichen.

Die Masernimpfung wird empfohlen, weil die Wahrscheinlichkeit durch Masern selbst Schäden zu erleiden, 1000 x größer ist als die
Wahrscheinlichkeit durch die Impfung Schaden zu erleiden. Der offizielle Stand seriöser Forschung sagt also: Die Krankheit ist
wesentlich gefährlicher als die Impfung gegen sie. Das sollte doch reichen, um mich zu überzeugen.

Ich verstand daher auch erst gar nicht, warum mich trotzdem vor der Impfung heimlich Sorgen quälten. Das passte doch gar nicht. Nicht zur Faktenlage und auch nicht zu mir. Ich hatte bei Tetanus-Auffrischungen früher nie Angst gehabt. Und Probleme mit Spritzen habe ich auch nicht. Also was war das plötzlich? Es kann nicht daran liegen, dass ich speziell Vorurteile gegen die Masern-Impfung hätte. Meine Kinder hab ich in den letzten Jahren beide dagegen impfen lassen ohne mit der Wimper zu zucken. Und Nebenwirkungen gab es bei ihnen auch nicht.

Nun wirken Emotionen ja oft eigensinnig, irrational und beratungsresistent. Ich hätte deswegen versuchen können, sie mit dem Verstand zu überstimmen. Aber ich habe in den letzten Jahren festgestellt, dass es viel lohnenswerter ist, Gefühle ernst zu nehmen und ihre Auslöser genau zu ergründen. Nicht, um ihnen das Ruder zu überlassen, sondern weil es klug ist, sich selbst genau zu kennen.

Als ich also über diese mir rätselhafte neue Angst nachdachte, kamen mir ein paar Umstände der Impfung in den Sinn, die vielleicht eine Rolle dabei spielen könnten, dass ich sie so anders bewertete als sonst. Es war nämlich so:

Ich bin im Oktober zu meinem Hausarzt gegangen um zum ersten Mal im Leben so einen Gesundheits-Check-up zu machen, der ab 35
Jahren als Präventionsmaßnahme von den Kassen gezahlt wird. Dabei habe ich angesprochen, dass mir aufgefallen sei, dass ich zu der Gruppe gehöre, der die zweite Masern-Impfung fehlt. Wegen uns ist halb Deutschland mit Impfaufklärungsplakaten gepflastert.

Aus der Reaktion meines Hausarzt konnte ich schließen, dass er die Kampagne der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung
kannte, ich aber wohl die Erste war, die ihn darauf ansprach. Nach Überprüfung meines Impfpasses musste er sich daher erstmal
informieren, wie das Vorgehen in dem Fall ist. Die Arzthelferinnen mussten sich irgendwo telefonisch bestätigen lassen, dass die Kasse
den Impfstoff auch wirklich zahlt und herausfinden, wie er zu beschaffen ist.

Das ging alles ganz schnell und professionell, aber was bei mir hängen blieb, war das Gefühl, dass mein Anliegen, diese Impfung
nachzuholen, etwas ganz Ungewöhnliches ist. Es nistete sich bei mir der störende Gedanke ein, dass wohl kaum ein Mensch dieser
Empfehlung folgt. Außer mir.

Auch machte mich das Vorgehen zur Beschaffung des Impfstoffs nervös. Während der Tetanus-Impfstoff stets in der Praxis vorrätig ist, bekam ich für den Masern-Impfstoff ein Rezept ausgestellt. Es hieß, ich müsse mir diesen Impfstoff in der Apotheke besorgen und ihn bitte zum Impftermin mitbringen. Außerdem wurde ich gebeten, die Packung bis dahin im Kühlschrank aufbewahren, weil der Impfstoff sonst unwirksam werde.

Der Impfstoff muss im Kühlschrank aufbewahrt werden

Ich glaube inzwischen, dass es diese besonderen Umstände der Impfung waren, die meinem neuen impfskeptischen Stimmchen Nahrung gegeben hatten. Die Zahngeschichte kam mir dann ganz recht, um einen scheinbar rationalen Grund vorschieben zu können und verhüllen zu können, dass ich eigentlich Angst bekommen hatte vor dieser Impfung.

Um zu verstehen, warum mich diese Umstände der Impfung nervös machten, ist hilfreich zu wissen, dass es in einer Arztpraxis
normalerweise sehr routiniert zugeht, wenn Impfungen anstehen. Unserem Kinderarzt merkt man an, dass er jede der empfohlenen
Impfungen schon tausende Male durchgeführt hat. Auch Hausärzte sind voller gelassener Sicherheit, wenn alle zehn Jahre Tetanus
ansteht.

Mir war vorher gar nicht klar, dass ich diese eingespielte Normalität der Impfsituation brauche, um das Gefühl zu haben, dass alles in
Ordnung ist und ich eine von ganz vielen bin, die sich selbst oder ihre Kinder impfen lassen. Meine Vermutung ist auch, dass bei mir vielleicht nur deswegen bisher keine inneren Konflikte beim Impfen aufgetreten waren, weil die Ärzte, zu denen ich eine Vertrauensbeziehung habe, sonst stets von sich aus die Impfungen ansprechen, die nach offizieller Impf-Empfehlung dran sind.

Hier aber war ja ich die gewesen, die mit der Idee kam, sich gegen Masern impfen zu lassen. Und der Arzt schien die Experten-Meinungen (noch?) nicht in seine eigene Impfberatung aufgenommen zu haben. Und so bekam ich das Gefühl, dass ich allein auf weiter Flur bin. Das war nicht gut. Das verschob meine emotionale Risiko-Wahrnehmung.

Es klingt vielleicht paradox, aber die Beschäftigung mit diesen Auslösern meiner plötzlichen Impf-Angst machte es mir leichter,
irgendwann dann doch zum Arzt zu gehen – mit dem Impfstoff in der Tasche, der monatelang in meinem Kühlschrank zwischen Senf und
Currypaste gewartet hatte. Denn nur durch diese Beschäftigung fand ich die richtigen Argumente, um meine Sorgen zu beruhigen.

Ich konnte mir sagen, dass es die entsprechende Empfehlung der Ständige Impfkommission (STIKO) ja erst seit 2010 gibt. Und dass es
nachvollziehbare Gründe dafür gibt, warum sie sich wahrscheinlich langsamer durchsetzt als andere Empfehlungen.

Hausärzte hatten ja vorher nie mit Masern-Prophylaxe zu tun. Das war früher immer die alleinige Domäne der Kinderärzte. Außerdem
sehen Hausärzte die Altersgruppe, für die die Empfehlung ausgesprochen wurde, wohl selten. Wenn ich alle zwei, drei Jahre mal in die Praxis eines Allgemeinmediziners finde, dann ist das Wartezimmer meist gut mit alten Damen gefüllt und für die gilt die Empfehlung nicht.

Menschen um die 40 sind eben seltener krank. Und wer vorher wegen Ausbildung und Beruf umgezogen ist, hat oft gar keinen Hausarzt. Das Thema Impfen kommt dann nur bei Fernreisen auf oder wenn man eine Verletzung behandeln lässt und gefragt wird, wie lange die letzte Tetanus-Impfung her ist.

Übrigens: Die paar Leute in meinem Alter, von denen ich wissen wollte, ob sie auch von dieser Masern-Impflücke betroffen sind, wussten nichts davon. Und auch nicht, wo ihr Impfpass überhaupt ist. Das waren keine Impfgegner. Noch nicht mal Impfskeptiker oder Anhänger individueller Impfentscheidungen. Sie haben Kinder und
lassen sie gegen alles impfen, was so empfohlen wird. Schon komisch, wenn man so drüber nachdenkt.

Das zeigt aber, dass ich nicht alleine bin. Sicher ist es kein Zufall, dass die Impf-Aufklärungskampagne für die Masern-Impfung
„Deutschland sucht dem Impfpass“ genannt wurde.
Allerdings scheint die Kampagne nicht viel zu nützen. Ich jedenfalls hatte mich davon auch nicht angesprochen gefühlt und war erst
durch einen Beitrag im Blog „Immun“ im letzten Sommer darauf gekommen, dass mich das Thema selbst betrifft.

Eintragung im Impfpass

Was ich hier beschreibe sind nur meine kleinen Erfahrungen. Aber sie bestätigen, dass Deutschland ganz schön impfmüde ist. Das wird
ja oft beklagt, wenn es mal wieder zu einem Masern-Ausbruch kommt. Als Ursache wird oft angenommen, dass Impfgegner große
Macht über die Leute haben. Nach meiner neuen Erkenntnis gibt es aber eben auch so manche Impfbefürworter (mich eingeschlossen),
die sich zwar über Impfgegner aufregen, sich aber mit ihrem eigenen Impfstatus trotzdem nie beschäftigen. Das macht mich stutzig.

Meine Vermutung ist ja, dass es nicht nur bei mir interessant ist, sich die Psychologie des Impfverhaltens mal anzusehen, sondern bei
vielen anderen Impfbefürwortern auch. Statt den Impfgegnern die Schuld zu geben, sollte man vielleicht eher fragen: Was bringt erstmal die Leute, die eigentlich pro Impfen sind, dazu, auch für sich selbst aktiv zu werden? Oder was hindert sie daran? Gibt es
Rahmenbedingungen, die man optimieren kann? Kann man etwas ändern bei „weichen“ Faktoren, wie denen, die mich verunsichert
haben?

Ein besseres Verständnis davon könnte ein wichtigerer Schlüssel dafür sein, wie man heute wieder zu Impfraten kommt, wie sie eine
wissenschaftsfundierte, aufgeklärte Gesellschaft eigentlich haben sollte.

 

Warum sind Hebammen plötzlich so ein Risiko für die Versicherer?

Dieser Text erschien im März 2014 im gemeinsamen Nachrichten-Portal von web.de, gmx und 1&1. Weil der Blogbereich dort jedoch im April 2018 eingestellt wurde, gibt es den Beitrag jetzt hier im Volltext (vorher waren hier nur Teaser und Link).

Zwei Frauen halten ein Transparent mit der Aufschrift "Wir brauchen Hebammen"

Demo am 8.3.14 in NürnbergMich wühlt gerade etwas sehr auf. Ja, es hat mich sogar auf die Straße getrieben. Zum Demonstrieren. Wer Nachrichten verfolgt, hat von dem Grund sicher schon gehört: Der Hebammen-Beruf geht vor die Hunde. Und das nicht erst seit gestern, sondern schon seit Jahren.

Die explodierenden Beiträge zur Berufshaftpflicht entziehen den eh schon gering verdienenden Hebammen Stück für Stück die
Existenzgrundlage. Jetzt kündigen Versicherungsgesellschaften an, sogar ganz aus dem Geschäft auszusteigen und einfach gar keine Haftpflicht für Hebammen mehr anzubieten. Zu viel Risiko.

Über die Konsequenzen wird viel geschrieben und über die muss auch berichtet werden. Denn all die wertvolle Hebammenarbeit, von der ich vor neun und vor sechs Jahren noch profitieren konnte, als meine beiden Kinder geboren wurden, steht entweder auf dem Spiel
oder ist – noch schlimmer – schon längst unter die Räder gekommen.

Wofür es aus meiner Sicht aber bisher noch viel zu wenig Aufmerksamkeit gibt, ist die Ursache dieser Hebammen-Misere. Wer meint, die Beiträge der Haftpflicht steigen, weil so viel Schlimmes passiert bei Geburten, der irrt. Nie in der Geschichte der Menschheit war Kinderkriegen sicherer als heute in den industrialisierten Ländern. Und zwar nachgewiesenermaßen unabhängig vom Geburtsort.

Aber natürlich gibt es auch heute keine 100-prozentige Sicherheit. Weder zu Hause noch in der Klinik. Leider geht nicht immer alles gut. Und für die Betroffenen sind diese Ereignisse dann – egal wie selten – immer tragisch. Sehr tragisch. Da hat sich im Vergleich zu früher nichts geändert.

Geändert hat sich aber, wie Eltern und Gesellschaft darauf reagieren. Und dieser veränderte Umgang zeigt sich in den Gerichtssälen unserer Republik. Und zwar in den  schwindelerregenden Summen, die inzwischen im Schadensfall ausgezahlt werden.

Ich mache den Eltern keinen Vorwurf. Wenn einem meiner Kinder während der Geburt etwas passiert wäre wegen eines Fehlers der
Geburtshelfer, hätte ich wohl auch geklagt.

Ich mache auch den Anwälten und Richtern keinen Vorwurf. Sie helfen den Eltern, ihre Ansprüche auf Schmerzensgeld und
Pflegeaufwand einzuklagen. Damit das Kind bis zu seinem Lebensende versorgt ist.

Ich mache auch Krankenkassen und Rentenkassen keinen Vorwurf, denn auch sie haben laut Gesetz das Recht, den Verursacher für all
ihre Mehrkosten mit diesem Kind in Regress zu nehmen.

Wem ich aber einen Vorwurf mache, ist der Politik. Sie schaut nicht nur seit Jahrzehnten zu, wie es mit den Schadenssummen in den
Klagen der Eltern steil bergauf geht, sondern erlaubt es den Sozialversicherungen, der Geburtshilfe noch mehr Last aufzubürden. All die berechtigten Ansprüche an Hebammen, Ärzten und Kliniken, die Mist gebaut haben, klingen vielleicht gerecht, wenn man nur die Verursacher anschaut. Dann vergisst man aber, wer die gigantischen Schadenssummen am Ende zahlt: die Gemeinschaft aller in der Geburtshilfe Tätigen, die auf eine Haftpflichtversicherung angewiesen sind.

Zwar sind es nur ganz wenige Gerichtsprozesse. Aber sie machen allen, die mit Schwangeren beruflich zu tun haben, eine Heidenangst. Und wer denkt, dass diese Angst qualitätssteigernd wirkt, der irrt wieder. Ich verstehe erst im Rückblick, durch das Einlesen in die ganze Problematik, einige Situationen in meinen Schwangerschaften besser. Aber damals! Was habe ich mich geärgert über den Krankengymnasten, der mich wegschickte mit meinem eingeklemmten Nerv, mit der Aussage, er behandle grundsätzlich keine Schwangeren. Was habe ich mich gewundert, über die mühsam verkniffene Angst in den Augen von Ärzten bei manchen Entscheidungen. Was habe ich gestaunt, wie die Hebamme es schafft, unter der Geburt alles zu notieren, was passiert, obwohl es dafür in manchen Situationen nun wirklich nicht die Zeit gibt.

Ist das alles qualitätssteigernd? Wohl kaum. Und wenn durch die Millionensummen im Schadensfall die Haftpflichtbeiträge aller
Beteiligten steigen, dann sinkt die Qualität zusätzlich. Denn wie reagieren die Einzelnen, wenn der Gewinn sinkt, den sie mit ihrer
Tätigkeit erzielen können? Manche nehmen es frustriert hin, andere steigen aus. Wieder andere versuchen, zusätzliche
Einkommensquellen zu erschließen oder schlicht mehr zu arbeiten. Nichts davon fördert das eigentliche Ziel: die bestmögliche
Versorgung von Mutter und Kind.

Liebe Politiker, es gibt jetzt schon viel zu lange ein allgemeines Haftpflicht-Problem in der Medizin und dort vor allem in der
Geburtshilfe. Und dieses Problem gefährdet inzwischen massiv die flächendeckende Versorgung von Schwangeren. Die freiberuflichen
Hebammen haben als erste aufgeschrien, weil sie durch ihren geringen Verdienst das schwächste Glied in der Kette sind. Aber sie sind zugleich nach meiner Erfahrung eine wirklich tragende Säule. Ich will mir daher nicht ausmalen, was alles Schlimmes passiert, wenn sie nicht mehr mit ihren erfahrenen und wachsamen Augen alles vor, während und nach den Geburten begleiten. Es ist allerhöchste Zeit, gegenzusteuern!

Erst Gummibärchen und dann der kleine Pieks?

Dieser Text erschien im März 2014 im gemeinsamen Nachrichten-Portal von web.de, gmx und 1&1. Weil der Blogbereich dort jedoch im April 2018 eingestellt wurde, gibt es den Beitrag jetzt hier im Volltext (vorher waren hier nur Teaser und Link).

Gummibaerchen-Narkose2

Bei unserem Kinderarzt gibt’s nach der Untersuchung immer eine knusprige Mini-Brezel für’s Kind. Natürlich nur für die Älteren. Babys kriegen noch nichts. Laut neuerer Forschung könnten aber gerade Säuglinge am eindeutigsten von einem Leckerli bei unangenehmen Arzt-Prozeduren profitieren. Allerdings muss es dafür Zucker enthalten und es muss vor der Spritze gegeben werden. Dann reduziert es effektiv ihre Schmerzen.

Im Blog des Kinderdoc entstand letztens eine Debatte über Sinn und Unsinn von Mitgebseln beim Kinderarzt. Er wollte per Umfrage wissen, ob Eltern es gut finden, wenn die Kinder nach der Behandlung etwas Kleines geschenkt kriegen, und wenn ja, was es ihrer Meinung nach geben sollte: Lieber kleine Geschenke? Oder was Essbares?

In den über 150 Kommentaren des Beitrags wurde das Für und Wider der Mitgebsel ausgiebig diskutiert. Sind sie ein schönes Ritual? Taugen sie als Trost bei Schmerzen? Sollte man sie als Belohnung für Wohlverhalten während er Behandlung einsetzen? Wie bei diesen Fragen zu erwarten, ging es heiß her. So fanden manche Süßes ok, aber verachteten den Mini-Spielzeug-Schrott. Bei den Anderen war es genau umgekehrt.

Gar nicht Thema in der Diskussion war aber, dass es das Mitgebsel beim Arzt stets erst nach der Behandlung gibt. Nur eine einzige Mutter berichtete in einem Kommentar, ihre Ärztin wende beim Impfen „die Gummibärchen-Narkose“ an, worunter ich verstehe, dass ihr Kind vor der Spritze etwas Süßes bekommt.

An diese „Gummibärchen-Narkose“ musste ich sofort denken als ich in einem englischsprachigen Blog von Cochrane einen Bericht über verschiedene systematische Reviews las, die Alternativen zu Schmerzmitteln untersucht hatten. Eine dieser medizinischen Übersichtsarbeit konnte bestätigen, dass Zucker bei Babys nachweisbar schmerzstillend wirkt, wenn er vor einer unangenehmen Behandlung verabreicht wird.

Cochrane Reviews gelten als besonders vertrauenswürdige Quelle für Therapie-Entscheidungen. Sie werden von einem unabhängigen Netz von Forschern und Ärzten herausgegeben, die alle verfügbaren Infos zu einer bestimmten medizinischen Therapie einordnen und zusammenfassen.

Der Effekt der Schmerzstillung durch Zucker kann übrigens nicht mit der Ablenkung erklärt werden, die mit der Gabe verbunden ist. Denn erstens wurde der Zucker ein paar Minuten vor der Behandlung gegeben. Und zweitens funktionierte das Geben von Flaschenmilch oder Wasser wenig bis gar nicht. Nur Zucker und Muttermilch (die ja ebenfalls sehr süß ist) reduzierten die Schmerzbekundungen des Babys eindeutig.

Andere Reviews zeigen, dass auch andere Maßnahmen vor der Prozedur den Schmerz reduzieren, wie direkter Hautkontakt mit der Bezugsperson oder auch das Saugen-Lassen an einem Schnuller.

Die Ergebnisse decken sich mit meiner eigenen Erfahrung. Die erste schmerzhafte Prozedur, die meine Kinder jeweils über sich ergehen lassen mussten, war die Blutabnahme an einem der ersten Tage nach der Geburt – für den Standard-Test auf angeborene Stoffwechselstörungen.

Meinen inzwischen 9-Jährigen Großen hatte ich damals „nur“ auf dem Arm als die Hebamme ihm in die Ferse piekste um das Blut abzunehmen. Er zuckte stark zusammen und schrie dann wie noch nie zuvor. Drei Jahre später – beim zweiten Kind – hatte ich eine Hebamme, die einen Trick kannte. Sie bat mich den Kleinen zu stillen. Und wenn ich mich recht erinnere, hat er nur einmal kurz „Äh“ gemacht als der Pieks kam. Dann nuckelte er weiter.

Ob die Forschungsergebnisse von Schmerzstillung durch Zucker auch auf größere Kinder übertragbar ist, konnte noch nicht geklärt werden. Sollte sich aber herausstellen, dass der Effekt auch hier nachweisbar ist, würden meine Kinder bei ihren Impf-Terminen vielleicht zukünftig gleich mit Gummibärchen begrüßt werden, statt erst danach Brezeln abzustauben. Ich bin mir ziemlich sicher, dass sie gegen eine solche Änderung nichts einzuwenden hätten…

#symp2013 (6) – Erbguth über Wachkoma und das abgeschaltete Bewusstsein

TdS Symposium PR Blatt 01-2013 72 DpI RGBEs gab noch ein paar tolle Vorträge beim Turm der Sinne-Symposium im Oktober, über die zu schreiben ich bisher noch nicht gekommen bin. Heute geht’s deshalb weiter mit meiner Reihe. Und zwar mit Frank Erbguth. Der Direktor der Neurologie im Klinikum Nürnberg sprach dort vor 4 Monaten über medizinisch relevante Zustände von abgeschaltetem Bewusstsein.

Ich hatte einige „Ach, so ist das!“-Momente in Erguths Vortrag. So wusste ich vorher nicht, dass ein Koma eigentlich immer ein vorübergehender Zustand ist. Ein Koma ist in den allermeisten Fällen ein Zustand, der innerhalb kurzer Zeit in einen anderen Zustand übergeht – bei Verschlechterung in den Tod, bei Verbesserung zum Aufwachen.

Wenn die Rede davon ist, dass jemand „jahrelang im Koma lag“, ist meist der dritte mögliche Zustand gemeint, in den das Koma übergehen kann: das Wachkoma. Wie der Name schon sagt, ist der Patient dann zwischendurch wach. Sprich: der Schlaf-Wach-Rhythmus ist wieder da. Und auch die Reflexe sind auslösbar. Aber eben nicht viel mehr.

Durch den Vortrag verstehe ich besser, warum dieser Zustand – das Wachkoma – eigentlich so verstörend ist. Das war nicht Erbguths Hauptthema, aber für mich persönlich ein interessante Erkenntnis. Das Wachkoma ist ein Zustand, der fremd wirkt, weil es für ihn im Alltag keine Entsprechung gibt. Zustände wie Ohnmacht, Narkose oder auch das Koma sind im Vergleich dazu unproblematisch, weil sie von außen aussehen als schlafe der Mensch. Dass man dann nicht ansprechbar ist, ist uns klar. Das Wachkoma aber sieht ganz anders aus als der Schlaf. Hier fällt etwas auseinander, was wir sonst immer als zusammenhängend wahrnehmen: Wachheit und Bewusstsein. #symp2013 (6) – Erbguth über Wachkoma und das abgeschaltete Bewusstsein weiterlesen

Rätsel-Auflösung: Kanal-Manipulator

Betaeubungsspritze1
Bitte mal ganz weit aufmachen… nicht erschrecken, jetzt kommt ein kleiner Pieks…

So, liebe Leute, es ist Zeit dafür das Januar-Rätsel aufzulösen und den Gewinner zu verkünden.

Weil es hier ja um Biologie im Alltag geht, waren es diesmal meine Zahnarzt-Besuche der letzten Wochen, die den Stoff für’s Rätsel lieferten. Genauer gesagt: die Betäubungsspritzen, die damit einher gingen. Rätsel-Auflösung: Kanal-Manipulator weiterlesen

Rätsel des Monats: Kanal-Manipulator

Oh Schreck, schon der letzte Tag im Januar! Allerhöchste Zeit für das Rätsel des Monats.

Heute suche ich Stoffe mit einer bestimmten medizinischen Funktion. Mir wurden sie in den letzten Wochen gleich mehrmals verabreicht. Die damit verbundenen Arzt-Termine waren übrigens einer der Gründe, warum es hier im Blog sehr ruhig war. Rätsel des Monats: Kanal-Manipulator weiterlesen

Erkältet? Meine liebsten Hausmittelchen

Ingwer-TeeDieser Text erschien zuerst bei web.de und gmx. Da der Blogbereich dort im April 2018 eingestellt wurde, gibt es ihn inzwischen jedoch nur noch hier.

Was hilft wirklich bei Erkältung? Ehrlich gesagt nicht viel. Sprich: Da müssen wir einfach durch. Ich habe für mich aber ein paar Hausmittelchen gefunden, die mir den Weg durch die Erkältung etwas erträglicher gestalten.

Als es mich letztens wieder erwischte – pünktlich zur Hochphase der Weihnachtsvorbereitung natürlich – habe ich die Gelegenheit genutzt, mal zu fotografieren, was ich mir gerne zusammenbraue, weil es mir gut tut. Erkältet? Meine liebsten Hausmittelchen weiterlesen

„Ihr wechselwarmen Frauen!“

Temperaturregulation
Es gibt Gründe, warum ich meinen Mann gern in dem Glauben lasse, seine Temperaturregulation funktioniere besser als meine

Dieser Text erschien zuerst bei web.de und gmx. Da der Blogbereich dort jedoch im April 2018 eingestellt wurde, gibt es den Beitrag nun nur noch hier.

„War es soo kalt im Keller?“ fragt mein Angetrauter mit dem üblichen Grinsen, als er meine eiskalte Hand berührt. Ich entgegne geduldig: „Aber ich hab doch die nasse Wäsche anfassen müssen, um sie aufzuhängen.“

Dass meine Gliedmaßen durch jede Berührung mit Kaltem sofort runtergekühlt werden und vor allem für erstaunlich lange Zeit eiskalt bleiben, ist stets wieder Anlass für liebevolle Neckerei hier zu Hause. Am Ende dieser kleinen Unterhaltungen lacht mein Mann stets, schüttelt den Kopf und bringt seinen Lieblingsspruch zum Thema: Ihr wechselwarmen Frauen! „Ihr wechselwarmen Frauen!“ weiterlesen

Nicht nur für Vergessliche und den Impfskeptiker-Nachwuchs

BZgA_DSDI_1-1-Anzeige_Waschmaschine-212x300Da denkt man, man sei durchgeimpft und dann das: Mir fehlt eine Masern-Impfung!

Ich muss zugeben: Als ich die Poster der derzeitigen Impf-Kampagne in den Bushäuschen sah, dachte ich nur: Aha, jetzt wollen sie die Jugend erreichen, damit die die Impfungen nachholt, die ihre impfskeptischen Eltern nicht wollten. Nice try!

Ich bin gar nicht auf die Idee gekommen, dass mich das Thema selbst auch betreffen könnte. Bin schließlich als Kind brav nach dem empfohlenen Schema geimpft worden.

Dass es mich doch betrifft, merkte ich erst als ich über den immunblog auf die Kampagnen-Seite bei impfen-info.de gelockt wurde und eher spaßeshalber mal den Test dort gemacht habe (ja, dafür sollte man seinen Impfpass gefunden haben). Raus kam zu meiner Überraschung, dass mir die zweite Spritze fehlt.

Bei meiner MMR-Impfung 1979 dachte man noch, dass EIN Impftermin reicht für die Immunisierung. Stimmt aber nicht. Heute weiß man: wir brauchen zwei für einen dauerhaften Schutz. So wie es bei meinen Jungs auch gemacht wurde.

Ich hab‘ mir jetzt zerknirscht einen Arzttermin geben lassen. Und fühlte mich peinlich berührt an die Fahrradhelm-Geschichte erinnert. Jahrelang hatte ich drauf bestanden, dass die Kinder Helme tragen und bin daneben ohne gefahren. Ich argumentierte damit, dass ich schließlich seit dreißig Jahren nicht mehr vom Fahrrad gefallen sei. Seit einiger Zeit lässt mein Großer das nicht mehr gelten und meint, dass er NUR einen trage, wenn ICH einen trage. Im Auto müssten sich schließlich auch ALLE anschnallen… es ist ein Fluch manchmal mit diesen schlauen Kindern… 😉

(Und nein, dies ist kein bezahlter Post. Nur für den Fall, dass sich einer so was fragt… ;-))

Chemie vs. Natur

Es kommt vor, dass ich aufgeregte Anrufe und Mails bekomme, wenn im Familien- oder Freundeskreis Parasiten oder Schädlinge auftauchen, die Ängste oder Ekel hervorrufen. Auch zur Giftigkeit der Insektenschutzmittel vom Kammerjäger sollte ich in diesem Zusammenhang schon Auskunft geben. Schließlich habe ich ja Biologie studiert. Dass man so nützliches toxikologisches Anwendungswissen im Biologiestudium nur in Ausnahmefällen lernt, kann ja wirklich niemand ahnen… 😉

Wenn ich Zeit und Lust habe, recherchiere ich dann mal ein bisschen, wie bestimmte Viecher am besten zu bekämpfen sind, ohne dass man sich selbst dabei schadet. ABER – und jetzt kommen wir zum eigentlichen Thema – bei den Gesprächen dazu fällt mir immer wieder auf, dass es ganz verbreitete Fehl-Vorstellungen gibt zu den Unterschieden zwischen „chemischen“ und „natürlichen“ Mitteln. Hier einige sehr verbreitete Vorurteile, die einfach nicht stimmen. Chemie vs. Natur weiterlesen