Ausgelöst durch meinen Artikel über behinderte Biowissenschaftler (Barrierefrei Forschen, LJ 4/2011, PDF) hatte ich eine interessante Diskussion darüber, was Diskriminierung eigentlich ist und wie sie sich nachweisen lässt.
Aus Erfahrungsberichten im Verlauf der Recherche hatte ich herausgehört, dass es für behinderte Forscher oft schwierig ist, qualifizierte Arbeit zu finden. Daraufhin hatte ich die Voraussetzungen rund um die Einstellung zum Dreh- und Angelpunkt meines Artikels gemacht.
Aber was entgegne ich Diskriminierungszweiflern? Denn auch Nicht-Behinderte tun sich oft schwer. Jeder, der eine Absage nach der anderen kassiert, entwickeln Hypothesen, warum potenzielle Arbeitgeber nicht auf ihn anspringen. Könnte es nicht sein, dass Behinderte ein Scheitern vorschnell ihrem Handicap zuschreiben? Anders gefragt: Müsste man Benachteiligungen bei der Jobsuche nicht auf irgendeine Art nachweisen? Sie objektiv messbar machen?
Bei der Besetzung einer freien Stelle sollte es Arbeitgebern nur um Qualifikationen gehen, um Zeugnisse und Arbeitsproben. Ob sich Personalentscheider tatsächlich nur von solchen Faktoren leiten lassen, lässt sich im ersten Teil des Bewerbungsverfahren am besten untersuchen. In einer Welt ohne Vorurteile sollten alle Bewerber mit gleichwertiger Ausbildung und Berufserfahrung ähnlich gute Chancen haben zu einem Vorstellungsgespräch geladen zu werden – unabhängig von Geschlecht oder Alter, Migrationshintergrund oder Handicap.
Wer als Individuum den Verdacht hegt, dass andere Faktoren als die berufsrelevanten zur Bewertung herangezogen werden, könnte versuchen seine Bewerbungsunterlagen in dieser Hinsicht zu frisieren. Als Mutter würde ich nach vielen Absagen vielleicht mal ausprobieren, ob ich eher zum Vorstellungsgespräch eingeladen werde, wenn ich meine zwei Kinder erstmal verschweige. Oder ich könnte mich als Mann ausgeben. Hab‘ schließlich früher oft genug Post an Herrn Adam Brynja bekommen. (Nun gut, das Foto müsste man dafür vielleicht etwas bearbeiten…)
Ich sag es gleich vorweg: Studien, in denen konkret die Diskriminierung von behinderten Bewerbern erforscht wird, gibt es nicht. Das bestätigte auch meine Interviewpartnerin Annetraud Grote vom Paul-Ehrlich-Institut. Aber für andere Gruppen ist die Benachteiligung auf der Arbeitssuche sehr gut nachgewiesen. Tatsächlich gibt es auch Studien der Diskriminierungsforschung, die einen ähnlichen Ansatz verfolgen wie jemand, der seine Unterlagen frisiert: die Matched-Pair-Discrimination-Tests.
Mit dieser Methode untersuchten Sozialwissenschaftler etwa den Einfluss eines Migrationshintergrundes auf den Erfolg von Bewerbungen. Zwei Test-Bewerber mit gleichen Qualifikationen bewarben sich auf echte Stellenausschreibungen. Die Tester unterschieden sich nur in einem: der eine trug einen türkischen, der andere einen deutschen Namen. Die Frage war: Gibt es einen Unterschied, wie oft die beiden zum Vorstellungsgespräch eingeladen werden? Die Ergebnisse dieser und ähnlicher Studien fand ich in einem sehr lesenwerten Artikel über „Arbeitsmarktdiskriminierung von MigrantInnen“ auf den Seiten der Heinrich-Böll-Stiftung (siehe auch dort für die Literaturangaben zu den erwähnten Studien).
Ja, der Test-Bewerber mit deutschem Namen heimste wesentlich mehr Einladungen ein. Wie der Artikel erklärt, könnte es sein, dass dahinter aber „nur“ statistische Diskriminierung steckt. Der mögliche Arbeitgeber in spe geht also lediglich von negativen Gruppeneigenschaften aus, solange er den Bewerber noch nicht persönlich kennt. Dafür spricht, dass in einer anderen Studie der Effekt des fremden Namens abgemildert werden konnte, wenn man Empfehlungsschreiben frühere Arbeitgeber beigefügt hat. Anders ausgedrückt: Die Ungleichbehandlung entspringt eher der Unkenntnis über individuelle Eigenschaften der Bewerber. Nach irgendwelchen Kriterien muss man Bewerbungsunterlagen aussortieren. Und was ist einfacher als sich von Stereotypen leiten zu lassen – bewusst oder unbewusst.
In einem anderen Beispiel für nachweisbare Diskriminierung, dass ich sehr schön fand, konnten Forscher zeigen, dass sich die Zahl der Musikerinnen in großen US-Symphonie-Orchestern erhöht hat, seitdem das Vorspielen bei Bewerbungen hinter einem Vorhang stattfindet. Die Wahrscheinlichkeit, dass Frauen sich durchsetzen ist einfach höher, wenn die Entscheider „verblindet“ sind. Ein einfacher Trick gegen die Macht von Vorurteilen, die Frauen ein generell niedrigeres Talent-Niveau unterstellen.
Über diese Studie hatte ich schon mal auf einem Vortrag gehört. Wiedergefunden hab ich sie in einer internationalen Vergleichsstudie des Instituts zur Zukunft der Arbeit, wo’s noch viel mehr über Diskriminierung beim Arbeitsmarktzugang zu entdecken gibt. Der Text steht nicht zufällig auf der Internetseite der Antidiskriminierungsstelle des Bundes. Denn anonymisierte Bewerbungsverfahren sind Thema eines neuen Pilotprojekts bei Unternehmen und öffentlichen Verwaltungen, bei dem Erfahrungen und Daten zur wissenschaftlichen Auswertung gewonnen werden sollen.
Dort sind auch Links zu Artikeln in den deutschen Medien. Die fand ich besonders erhellend – wegen der Leser-Kommentare, die durchweg sarkastisch und abwertend sind. Diskriminierung nachzuweisen, sie als Problem darzustellen, sie bekämpfen zu wollen, scheint die Leute enorm zu provozieren. Entweder, sie müssen das Verfahren lächerlich machen (Haha, wollen die das Vorstellungsgespräch auch anonym machen? Einen Stellvertreter schicken?) oder sie sagen, die Diskriminierten seien selbst schuld (weil sie ja wirklich so sind wie alle glauben) oder sie leugnen Diskriminierung schlichtweg (Hallo, wir leben in Deutschland des 21. Jh! Wer gut ist, setzt sich durch, egal wie er aussieht oder heißt!) .
Aber warum sind Anti-Diskriminierungsmaßnahmen in Deutschland so eine Provokation? Meine These: wir Deutschen halten uns für solche Vernunftmenschen, dass wir es kaum ertragen, wenn man uns Irrationalität nachweist. Die gibt es nicht, weil es sie nicht geben darf.