Wie eine Forscherbiografie machte, dass ich mich prüde fühlte, und warum ich sie trotzdem toll finde – Buchbesprechung „Die Neanderthaler und wir“ von Svante Pääbo

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Svante Pääbo legt mit seinem Buch „Die Neanderthaler und wir“ eine überaus lesenswerte Autobiografie vor. Anhand der Entschlüsselung des Neanderthaler-Genoms und weiterer Erfolge der Paläogenetik erfahren Leser viel darüber, wie Forschung funktioniert. Für meinen Geschmack ist das Buch an einige privaten Stellen zwar zu freimütig (auch wenn das jetzt prüde klingt), aber Pääbos Offenherzigkeit sorgt im Rest des Buches für einen so persönlichen, authentischen Ton, dass bei mir als Leserin das tolle Gefühl entstand, die Entwicklung des neuen Faches aus nächster Nähe nacherleben zu können.

Manche Wissenschaftler-Namen haben für mich einen besonderen Klang. Svante Pääbo gehört dazu. Der in Deutschland forschende Schwede ist einer der Pioniere der Paläogenetik. In dieser noch jungen Disziplin der Molekularbiologie geht es um die Analyse von DNA aus Material, das hunderte oder sogar tausende von Jahren alt ist.

Bisheriger Höhepunkt von Pääbos Karriere war die Gewinnung von Neanderthaler-DNA und die Genom-Sequenzierung unseres ausgestorbenen Vetters. In dem vor kurzem erschienenen Buch „Die Neanderthaler und wir“ beschreibt er – wie es im Untertitel heißt – seine „Suche nach den Urzeit-Genen“.

Die Crux mit den Verunreinigungen

Allgemeinverständlich erklärt er darin etwa die Hürden und Mühen, die mit der Entwicklung der paläogenetischen Methoden verbunden waren. Das Problem: In altem biologischen Material ist ein großer Teil der DNA bereits zersetzt. Die verbliebenen DNA-Reste liegen in geringer Konzentration vor.

Zwar kann man diese kopieren bis sie wieder nachweisbar wird. Dabei wird aber DNA heutiger Menschen, die mit unseren Hautschüppchen überall herumfliegt, mit vervielfältigt. Um diese Verunreinigung alter DNA mit heutiger DNA zu vermeiden, muss ein immenser Aufwand getrieben werden.

Pääbo erzählt eindrücklich, wie schwierig es war, dieses Problem in den Griff zu kriegen. Welche Pedanterie er dafür an den Tag legen musste. Und welche Mühen er und seine Arbeitsgruppe auf sich nahmen, um die Unsicherheit, die den Ergebnissen stets anhaftet, so weit wie möglich zu verringern.

Spektakuläre Erkenntnisse

Ebenfalls spannend zu lesen fand ich Pääbos Schilderung, wie sich aus den Daten langsam herauskristallisiert, dass ein Teil der Neanderthaler überlebte, als ein genetisches Erbe in vielen von uns modernen Menschen. Wie sich durch bioinformatische Berechnungen langsam die Schlussfolgerung erhärtete, dass die Vorfahren von Europäern und Asiaten tatsächlich mit Neanderthalern Nachkommen zeugten. Der Forscher lässt den Leser miterleben wie er damals auf dem Weg zu dieser Erkenntnis zwischen Skepsis und Euphorie schwankte.

Auf diese sensationelle Entdeckung folgte bald die nächste: der Nachweis einer neuen, vorher komplett unbekannten Menschenart, des Denisova-Menschen, benannt nach der sibirischen Höhle, in dem das winzige Stück Knochen gefunden wurde. Dass dieses Knöchelchen zu einem Menschen gehörte, der weder Homo sapiens noch Neanderthaler war, wäre ohne die Methoden der Paläogenetik nicht ermittelbar gewesen.

Das Buch ist aber nicht nur Beschreibung des Forschungsprozesses, sondern auch die zum Teil recht intime Autobiografie eines außergewöhnlichen Wissenschaftlers. Was einige private Themen im Buch angeht, war ich daher – wie gesagt – etwas zwiegespalten.

Nein, so viel Privates wollte ich gar nicht wissen

Einerseits fand ich es gut, dass Pääbo seine Bisexualität thematisiert. Auch, weil er sich wegen ihr bei seiner ersten Stelle in Deutschland Sorgen macht, ob er akzeptiert werden würde. Immer noch gibt es Vorbehalte gegen andere sexuelle Orientierungen. Pääbo selbst musste das erleben als ein alten Prof mit NS-Vergangenheit ihm im Münchner Institut deswegen feindselig gegenübertrat.

Auch fand ich gut, dass er erklärt, als Sohn des Nobelpreisträgers Sune Bergström geboren zu sein , aber in dessen unehelicher, damals geheimen Zweitfamilie. Beides waren für mich Einblicke in die persönliche Geschichte, die für mich das Verständnis des Menschen Pääbo bereichern.

Andererseits aber ging mir seine Offenheit an einigen Stellen etwas zu weit. Denn über das Dreiecks-Beziehungs-Kuddelmuddel, das zu seiner Ehe und Familie führt oder über den Sex unter Palmen in seinen Flitterwochen wollte ich nicht unbedingt etwas erfahren.

Auch wenn mir das als Prüderie ausgelegt werden kann, aber die Intimität dieser Einblicke wirkte auf mich in der doch überwiegend beruflichen Autobiografie seltsam deplatziert. Als würde er in einem populärwissenschaftlichen Vortrag zwischendurch Kuss-Fotos zeigen.

Warum ich die Freimütigkeit trotzdem gut finde

Den Buchgenuss geschmälert hat das für mich aber nicht. Vor allem deswegen nicht, weil das Buch ansonsten immens profitiert von Pääbos fehlender Scheu persönliche Seiten zu zeigen. So erzählt er etwa auch über die Motivationen, Ziele und Entscheidungen, die sein Forscherleben prägten, mit großer Offenherzigkeit. Und das machte mir richtig Spaß zu lesen.

Die Schilderung seiner Zerrissenheit zwischen der von ihm geliebten Alt-Ägyptologie und der sich rasant entwickelnden Molekularbiologie, in der er Anfang der 80er promovierte, beeindruckte mich zum Beispiel sehr. Es zeigt für mich schön, wie sich ein neuer Pfad der Forschung aus etwas zuerst sehr Persönlichen entwickeln kann. Bei ihm eben aus dem Wunsch heraus, seine zwei Leidenschaften für alte Geschichte und für die Genetik zu verbinden.

Für mich ebenfalls interessant war auch Pääbos Umgang mit Konkurrenzsituationen mit anderen Wissenschaftlern. Oder die Gründe, die ihn an Scheidewegen seiner Karriere in eine Richtung haben gehen lassen und nicht in die andere. Besondere Einblicke bieten auch Erfahrungen von ihm, die zeigen, wie eng das Handeln Einzelner mit den politischen Rahmenbedingungen von Forschung verknüpft ist.

Auf dem politischen Parkett

Als junger Idealist musste Pääbo nämlich erleben, dass seine Kontakte zu Ostberliner Museumskuratoren und damit der Zugang zu Mumien-Gewebe von der Stasi unterbunden wurden, indem seine Uni in Uppsala als „bekanntes antisozialistisches Propagandazentrum“ verunglimpft wird. Frustriert musste er akzeptieren, dass der Glaube an die völkerverbindende Kraft der Wissenschaft allein noch keine Berge versetzt. Und auch nicht der Versuch, alles richtig zu machen.

Auch später, in Kooperationen mit kroatischen Wissenschaftlern, passierte ihm Ähnliches. Plötzlich verwehrten Behörden den vorher freien Zugang zu Neanderthaler-Knochen. Und wieder waren es politische Erwägungen und keine wissenschaftlichen, die eine Rolle spielten. Ich fand es spannend zu lesen, wie sich dieses Problem entwickelte und welche Allianzen schließlich halfen, es zu überwinden.

Fazit

Wissenschaftsbegeisterten sei das Buch wärmstens empfohlen. Prüdere Seelen sind ja jetzt vorgewarnt, aber ich denke, Pääbos persönliche Schilderung seines Forscherlebens wird allen, die sich für Biologie, Frühgeschichte und Politik interessieren, ein paar wunderbare Stunden Lesegenuss bescheren.

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