Dieser Text erschien im Oktober 2015 im gemeinsamen Nachrichten-Portal von web.de, gmx und 1&1. Weil der Blogbereich dort jedoch im April 2018 eingestellt wurde, gibt es den Beitrag jetzt hier im Volltext (vorher waren hier nur Teaser und Link).
Gibt es schlechte Gene und wenn ja, was sind sie eigentlich? Wie in viel Bereichen des Lebens ist ein Schwarzweißdenken auch im Bereich der Genetik fehl am Platz. Denn es ist gar nicht so eindeutig zu unterscheiden, welche Gene gut und welche schlecht sind.
Als ich die Google-Bildersuche gestern mit dem Begriff „schlechte Gene“ fütterte, spuckte die Suchmaschine mir ein buntes Allerlei aus. Darunter auch viel zu Risikogenen. Symbolbilder von Rauchern und dicken Bäuchen. Auch Hirnscans von MSDiagnosen waren dabei oder Bilder von Familien mit gehäuftem Auftreten von Darmkrebs.
Die dazugehörigen Texte erzählten, dass manche Menschen mit einer größeren Anfälligkeit geboren werden – für Sucht oder Fettleibigkeit, Multipler Sklerose oder Darmkrebs.
Gute Gene, schlechte Gene
Ich lächelte traurig und schüttelte den Kopf. Nicht weil die Berichte über die Forschung falsch wären. Klar gibt es Veranlagungen. Es gibt Familien, in denen bestimmte Krankheiten häufiger sind als in anderen. Das ist wahr. Und doch führt es meiner Meinung nach auf den Holzweg die dazugehörigen Gene als „schlecht“ zu bezeichnen.
Und ich meine das gar nicht moralisch, sondern rein sachlich. Auch wenn ich nur als Biologin auf diese Frage schaue, ist es gar nicht so eindeutig, wie viele meinen, welche Gene „gut“ und welche „schlecht“ sind – im Sinne von förderlich oder schädlich für die
Gesundheit.
Nehmen wir die Gene, die eigentlich die eindeutigsten Beispiele für „schlechte“ Gene sein sollten: Es gibt ja durchaus Gene, die alleine die Macht haben, uns schwer krank machen. Und zwar egal, wie wir leben und welche Gene wir noch so haben. Gene, die von einer Mutation betroffen sind, die sie kaputt gemacht haben. Gene, die so wichtig im Körper sind, dass Menschen ernste Ausfallerscheinungen haben, wenn diese kaputt-mutierten Gene ihren Job nicht richtig machen. Für diese kranken Menschen ist dieses Gen ganz sicher etwas Schlechtes. Damit ist aber noch nicht die ganze Geschichte erzählt.
Gendefekt als Chance
Gerade bei Ein-Gen-Krankheiten, die sehr häufig sind, weiß man inzwischen, dass sie für die Gesundheit ihrer Träger nicht nur schädlich, sondern auch nützlich sein können. Die bekanntesten Beispiele dafür sind genetische Krankheiten, die die Funktion der roten Blutkörperchen stören, wie die Sichelzellanämie oder die Thalassämie.
Hat man zwei dieser defekten Gene, kann das die Sauerstoffversorgung unseres Körpers massiv beeinträchtigen. Aber: Bei nur einem defekten Gen ist sie fast normal. Und hier ist
der Defekt plötzlich sogar ein Vorteil – zumindest in Malaria-Gebieten. Denn die defekte Variante des Gens schützt vor den schwereren Verläufen der Infektion. Sprich: Man wird krank, überlebt aber.
Wenn die Sichelzellanämie in Teilen von Afrika häufig ist und die Thalassämien im Mittelmeerraum, steckt also Evolution dahinter. Die defekten Gene boten in diesen Gebieten Vorteile. Weil Leute mit einer funktionsfähigen und einer defekten Variante des
Gens in den letzten Tausenden Jahren Malaria eher überlebten als Leute mit zwei gesunden Varianten des Gens, nahm die Häufigkeit der defekten Varianten in der Bevölkerung zu.
Diese Gene sind natürlich „schlecht“, wenn man sieht, dass sie die Ursache einer Krankheit sind. Wer das Pech zwei defekte Varianten geerbt zu haben, leidet unter schweren gesundheitlichen Probleme aufgrund dieses Gens. Trotzdem ist das defektes Gen für die, die nur eins davon geerbt haben, etwas Gutes. Es beeinträchtigt sie kaum im Leben und bietet einen Schutz gegen den Malaria-Tod.
Schlechte Gene in ihrem Kontext
Wie wir dieses Gen also insgesamt bewerten, hängt sehr von der Umwelt ab. In Zeiten und Gegenden, die frei von Malaria sind, ist es vor allem ein „schlechtes“ Gen. In Zeiten und Gegenden aber, in denen Malaria ein großes Risiko war, ist es eher wie ein zweischneidiges Schwert oder ein Schutzfaktor mit Nebenwirkungen.
Einzelne in der Gemeinschaft zahlen einen hohen Preis, während andere profitieren. Einen ähnlichen Effekt vermutet man übrigens bei einer anderen Ein-Gen-Krankheiten, die in unseren Breiten häufig ist: die Mukoviszidose. Hat man zwei defekte Kopien des betroffenen Gens, ist die Produktion von Schleim, Schweiß und Verdauungssäften in vielen Teilen des Körpers gestört. Vor allem durch ihre Probleme mit der Lunge ist die Lebenserwartung der Patienten stark einschränkt.
Die evolutionsbiologische Erklärung: Weil das Produkt des Mukoviszidose-Gens zugleich das Einfallstor einiger Krankheitserreger ist, geht man auch hier davon aus, dass der
Besitz eines gesunden und eines defekten Gens einen Schutz gegen Infektionen darstellt. Es gibt einige Hinweise darauf, dass dieses Gen unseren Vorfahren gegen Tuberkulose half.
Gene und ihre Evolutionsgeschichte
Meine skeptischen Gedanken beim Blick auf die Google-Suche zu den „schlechten Genen“ ist also: Wenn schon bei den eindeutigsten Krankheitsverursachern unter unseren Genen einige dabei sind, die nicht die reinen Bösewichte sind, für die wir sie gerne halten, was ist
dann erst mit denen, die „nur“ als Risikogene gelten?
Selbst wenn die Forscher eindeutig nachweisen können, dass eine Genvariante das Risiko einer Krankheit erhöht, sollten wir doch auch danach fragen, was dieses Gen uns in unserer Evolutionsgeschichte gebracht hat. Gerade wenn diese Variante in der Bevölkerung häufig ist, sollte die naheliegende nächste Frage lauten: Und was waren die Vorteile dieses Gens? Schützte es unsere Vorfahren vielleicht vor einem anderen Unheil?
Das Phänomen, das ich dort beschreibe, wird übrigens Heterozygoten-Vorteil genannt. Hier eine Erklärung des Begriff im Lexikon der Biologie bei Spektrum. Es gibt erstaunlicherweise noch keinen eigenen Beitrag dazu in der deutschen Wikipedia (aber einen Text in der englischen Wikipedia).