Dieser Text erschien im Juli 2015 im gemeinsamen Nachrichten-Portal von web.de, gmx und 1&1. Weil der Blogbereich dort jedoch im April 2018 eingestellt wurde, gibt es den Beitrag jetzt hier im Volltext (vorher waren hier nur Teaser und Link).
Für die einen sind Mann und Frau von Natur aus sehr unterschiedlich und sollen es auch sein. Für die anderen dagegen ist der natürliche Unterschied winzig und irrelevant. Ich habe lange gebraucht um rauszufinden, dass beide Unrecht haben.
Geschlechtsunterschiede sind eine heikle Sache. Was folgt daraus, dass es sie gibt? Das wird je nach politischem Lager sehr unterschiedlich beantwortet. Rechts der Mitte hält man sie eher für groß und bedeutsam. Links der Mitte dagegen hält man sie
eher für klein und irrelevant.
Als Biologin dachte ich deshalb lange: Es kann doch nicht so schwer rauszufinden sein, wie groß die Unterschiede wirklich sind. Man muss nur ein paar gute Studien machen und schon kann man entscheiden, wer von beiden recht hat: Die rechts oder die links von der Mitte.
Studien entscheiden nichts
Heute aber ist mir klar, dass es beiden Seiten darum gar nicht geht. Denn es gibt jede Menge Studien. Aber die entscheiden nichts. Denn es geht nicht um Fakten, sondern um Werte. Nicht um einen objektiven Vergleich der Geschlechter. Sondern darum, welches
Ideal wir anstreben. Wie die Geschlechter zueinander stehen sollten. Sprich: um Moral.
Dass die beiden Lager die natürlichen Unterschiede zwischen Mann und Frau entweder als groß oder als klein einschätzen, schließen sie nicht aus Studien, sondern aus dem, was in ihrer Weltsicht wünschenswert ist. Für konservative Seelen bedeuten Geschlechtsunterschiede nur Gutes. Sie klingen nach altbewährten Traditionen, nach Gottes Segen und nach der natürlichen Ordnung der Welt. Deswegen suchen sie nach Beweisen, dass diese Geschlechtsunterschiede ganz natürlich auftreten und für alle gültig sind.
Für Leute, deren Herz eher links schlägt, ist es genau umgekehrt. Ihr Ziel ist größtmögliche Geschlechter-Gleichheit. Denn das klingt nach einer gerechteren Welt, nach sozialem Fortschritt und einem besseren Leben für alle. Deswegen suchen sie nach Beweisen, dass
Geschlechtsunterschiede bei allen Leuten klein sind und dass sie außerdem veränderbar sind oder zumindest ignorierbar.
Ich persönlich empfinde inzwischen beide Haltungen als schwierig und problematisch. Denn beide tun bestimmten Leuten unrecht. Und das liegt daran, dass jedes Lager einen charakteristischen Teil der Realität ausblenden. Und das liegt daran, dass die Fakten
weder zur einen noch zur anderen Weltanschauung passen.
Unterschiede sind rein statistisch
Die Konservativen haben recht, dass es deutliche Unterschiede zwischen den Geschlechtern gibt. Aber sie haben nicht recht, wenn sie meinen, dass das für jeden Mann und jede Frau gültig ist. Denn die Unterschiede, die sich in Studien zeigen, sind rein statistisch. Das heißt, wenn man einen beliebigen Mann und eine beliebige Frau rausgreift aus der Masse, kann der individuelle Unterschied zwischen ihnen sehr groß sein, aber er kann auch verschwindend klein sein.
Ungerecht wird das für die, bei denen die Fakten nicht zu den Werten passen. Frauen, die natürlicherweise Eigenschaften und Wünsche haben, die in konservativer Sicht Männern vorbehalten sein sollten, haben es schwer in einer konservativen Umgebung. Gleiches gilt für Männer, die von ihrer Natur her eher Interessen haben, die als weiblich gelten. Und ein Paar, das sich sehr ähnlich ist in allem, von der Körpergröße bis zu den Interessen, müsste
– um konservativen Idealen zu genügen – Unterschiede zwischen sich künstlich vortäuschen.
Für diese Leute ist die linke Weltsicht natürlich eine Befreiung. Sie entkommen dem Druck in traditionelle Schubladen gepresst zu werden, in die sie von ihrer Natur her nicht passen. Aber die linke Sicht ist eben nicht für alle eine Befreiung. Im Gegenteil. Die, die am
anderen Ende der Geschlechtsunterschiede sind, empfinden das linke Ideal der Gleichheit zwischen den Geschlechtern ihrerseits ebenfalls als Zwang.
Befreit euch von den Erwartungen!
Männer und Frauen, deren natürliche Geschlechtsunterschiede stärker ausgeprägt sind, haben eine harte Zeit im linkem Milieu, wenn sie ihren Interessen folgen wollen. Denn es wird immer angenommen, dass sie den falschen Werten folgen. Es gilt als nicht möglich, dass sie mit dem, was sie tun, nur ihrer Natur folgen. Es gilt schließlich als sexistisch, anzunehmen, dass Frauen etwas von Natur aus eher wollen. Oder dass Männer sich von Natur aus mehr für etwas Bestimmtes interessieren. Denn Geschlechtsunterschiede sind ja per Definition klein und irrelevant. Dass sie auch mal größer sind, das kann es nicht geben, weil es es nicht geben darf.
Angesichts dieser doppelten Ungerechtigkeit wäre es an der Zeit für einen dritten Weg. Oder? Denn Freiheit bedeutet, der eigenen Natur entsprechend leben zu dürfen. Finde ich zumindest. Für manche besteht die Befreiung darin, die klassischen Erwartungen an ihr Geschlecht zurückzuweisen und nicht zu erfüllen. Weil es nicht in ihrer Natur liegt. Für andere dagegen ist es eine Befreiung, wenn sie endlich so leben dürfen, wie es ihnen ihre Natur sagt – auch wenn das dem totalen Geschlechter-Klischee entspricht. Sie sind Blogger/Bloggerin und möchten Ihre Beiträge gern bei uns veröffentlichen?