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Müssen wir Placebo-Medizin wie die Homöopathie bekämpfen?

Dieser Text erschien im Februar 2016 im gemeinsamen Nachrichten-Portal von web.de, gmx und 1&1. Weil der Blogbereich dort jedoch im April 2018 eingestellt wurde, gibt es den Beitrag jetzt hier im Volltext (vorher waren hier nur Teaser und Link).

Während die einen schwören, Homöopathie habe ihnen schon unzählige Male geholfen, ist sie für die anderen eine esoterische Pseudomedizin. Unmöglich, dass beide Seiten Recht haben, oder?

Ich will ehrlich sein. Ich persönlich kann mit der Homöopathie nichts anfangen. Die Theorie dahinter ist pseudowissenschaftlich. Klinische Studien zeigen immer wieder, dass die Wirkung der Kügelchen nicht über die von Placebos hinausgeht. Und wenn
Freundinnen ihre Homöopathen loben, klingt es in meinen Biologen-Ohren wie das Schwärmen für einen schamanistischen Alchemisten.

Eigentlich sollte mich das zu einer natürlichen Verbündeten des neu gegründeten Netzwerkes Homöopathie machen, die der Alternativmedizin-Richtung gerade medienwirksam den Kampf angesagt hat und über ihre Unwirksamkeit aufklären will.
Aber – und das wird jetzt einige überraschen: Ich denke nicht, dass meine Freundinnen sich die homöopathische Wirkung nur einbilden. Die ist durchaus da. Ja, ich bin sogar davon überzeugt, dass sie bei ihren Homöopathen etwas bekommen, das im Rest des  Gesundheitssystems oft schmerzlich fehlt. Etwas, wovon sich Ärzte im Allgemeinen einScheibchen abschneiden sollten.

Wer sich gerade verärgert fragt, wie um alles in der Welt diese beiden Aussagen zusammenpassen sollen, ist wahrscheinlich in bester Gesellschaft. Denn wie kann etwas gleichzeitig esoterischer Blödsinn und wertvolle Medizin sein? Das geht doch nicht, oder?
Doch, das geht. Und um das zu verstehen, muss man sich nur die Erkenntnisse der Placebo-Forschung anschauen.

Placebos wirken durchaus

Denn was bedeutet es, wenn wir sagen, etwas sei ein Placebo? Viele denken ja, ein Placebo zu bekommen sei gleichbedeutend damit, gar nicht behandelt zu werden. Wissenschaftsbasierte Medizin muss schließlich in klinischen Studien beweisen, dass sie wirksamer ist als die Placebo-Behandlung. Das nährt das Vorurteil, Placebos seien etwas Wirkungsloses. Aber das stimmt nicht.

In Studien, in denen eine echte Behandlung und eine Placebo-Behandlung zusätzlich noch mit einer Nicht-Behandlung verglichen werden, zeigt sich, dass es den Placebo- Behandelten besser geht als den Nicht-Behandelten. Und zwar nicht nur in ihrer subjektiven Wahrnehmung, sondern auch nach objektiv nachweisbaren Kriterien.

Das, mit was behandelt wurde, mag zwar ein Nichts sein, die Reaktion auf dieses Nichts ist aber sehr real. Denn auch Gedanken, Gefühle und Erwartungen können bei Menschen
über Nerven und Hormone Prozesse anstoßen, die messbare Änderungen in ihrem Körper bewirken.

Inzwischen kommt man auch nicht mehr um die wissenschaftlich abgesicherte Erkenntnis herum, dass dieser Placebo-Effekt schon immer ein Teil ganz normaler medizinischer Behandlungen ist. Auch wenn wir unsere Blutdrucktabletten nehmen, etwas gegen die Schmerzen schlucken oder die Pillen gegen Parkinson, beruht die Wirkung nicht allein auf dem direkten Effekt der Arznei-Moleküle auf unsere Körperchemie, sondern zusätzlich auf dem psychologisch vermittelten Effekt, den wir selbst bei uns auslösen – dem Placebo-
Effekt.

In nichts zeigt sich die Bedeutung des Placebo-Effekts für die allgemeine medizinische Praxis für mich deutlicher als in dem Unterschied, den es macht, wenn Krankenhaus- Patienten am Tropf Medikamente im wachen Zustand oder in Schlaf/Narkose  bekommen. Natürlich wirken echte, pharmazeutische Mittel auch, wenn die Patienten ohne Bewusstsein sind. Aber sie wirken messbar stärker, wenn die Patienten mitkriegen, dass sie sie erhalten haben.

Obwohl es Stand der Forschung ist, dass medizinische Behandlungen generell auf zwei verschiedene Arten wirken, wird die psychologische Komponente im Gesundheitssystem aber oft nicht systematisch genutzt.

Psychologische Unterstützung hängt vom Arzt ab

Nach meiner Erfahrung ist es schon Glückssache, ob man an einen menschlich inkompetenten Holzklotz von Arzt gerät oder ob man bei jemandem landet, der das Gespräch mit Patienten zu nutzen versteht, um Vertrauen aufzubauen und Zuversicht in den Erfolg der geplanten Therapie zu vermitteln. Es ist also Zufall, ob man den psychologischen Boost kriegt, den eine gelingende Patienten-Arzt-Beziehung zusätzlich zur pharmazeutischer Wirkung auslöst.

Zudem gilt es unter wissenschaftsbasierten Medizinern meist als ethisch nicht vertretbar, Patienten reine Placebos zu geben. Wenn sie meinen, man könnte von einer Placebo- Behandlung profitieren, greifen sie daher höchstens zu harmlosen Medikamenten, von denen sie sich in dem Fall aber weniger eine Arznei-, als vielmehr eine Placebo-Wirkung versprechen.

Aber auch über die Anwendung solcher sogenannten Pseudo-Placebos wird eher verschämt unter der Hand geredet.
Ich denke, so lange der Umgang mit dem Placebo-Effekt in der modernen, medizinischen Praxis noch so unzuverlässig genutzt wird, werden es immer Alternativmediziner sein, die diese Lücke füllen.

Zwar haben Homöopathen vom Naturwissenschaftlichen her gesehen nichts zu bieten. Trotzdem scheinen sie mit ihrer windigen, 200 Jahre alten Pseudowissenschaft den Placebo-Effekt weit systematischer zu nutzen als das die normale Ärzteschaft sonst tut.

Meiner Meinung nach schreit das nicht nach einem wütenden Kampf gegen die Homöopathie, sondern sollte eher dazu anstacheln, die psychologische Dimension des Heilens endlich auch im normalen medizinischen Alltag konsequent umzusetzen. Damit
auch Menschen wie ich, die ihre Medizin gerne wissenschaftsbasiert halten, davon profitieren können.

Placebo-Effekt – ein Streitgespräch

  • WAS? Du glaubst, jemand der ECHT krank ist, kann allein durch die ERWARTUNG von Heilung gesund werden? Wie soll DAS denn gehen? Das ist ungefähr so absurd, wie zu glauben, dass ein Regentanz wirklich funktioniert!
  • Grrrh. Nein, das ist real und nennt sich Placebo-Effekt! Und der ist überhaupt nicht absurd. Erwartung und Heilung finden doch in ein und dem selben Körper statt! Warum soll eine Hoffnung in deinem Kopf nicht molekular in deinem Körper wirksam sein? Neuronal, hormonell?
  • NÄ, jetzt echt! Für Placebos braucht man Einbildung und Glauben. Das würde bei mir nicht wirken, weil ich nur ECHTE Krankheiten habe.
  • Das hat mit Einbildung nichts zu tun. In klinischen Studien tritt das doch auch auf und da werden die Leute zufällig den Gruppen zugeteilt.
  • Ja, aber der Placebo-Effekt in klinischen Studien beruht doch darauf, dass damit nur DER Prozentsatz an Leuten „geheilt“ wird, die sich die Krankheit eh nur eingebildet haben.

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Wird der Placebo-Effekt stärker?

Der Wired-Artikel über den Placebo-Effekt, auf den ich vor ein paar Tagen stieß, ist schon zwei Jahre alt. Für manche also vielleicht ein alter Hut. Aber ich wusste nicht, dass der Placebo-Effekt für Pharma-Firmen ein zunehmendes Problem darstellt. Immer mehr Medikamente scheitern in klinischen Studien daran, weil sie nicht besser wirken als das Placebo. Die Pharma-Firmen würden deswegen sogar schon untereinander Daten austauschen. Und das sie das tun, zeigt laut Autor Steve Silberman, dass es wirklich schlimm sein muss… 😉 Wird der Placebo-Effekt stärker? weiterlesen

Von der Homöopathie bis zum Christkind

Ich streite mich nicht gerne über Homöopathie. Die Leute reagieren da sehr empfindlich. Besonders Mütter. Ich hab mehr als eine getroffen, die der festen Überzeugung war, Globuli vom homöopathischen Arzt ihres Vertrauens seien das Einzige gewesen, das ihr Kind vor einer Karriere in chronischer Krankheit bewahrt habe. Widersprich mal einer Mutter, deren Kind gerettet wurde!

Ne Weile hatte ich mir deshalb geschworen, das Thema einfach nicht mehr zu kommentieren. Wer will schon böse Blicke ernten in einer gerade noch netten Runde? Wer will die traute Einigkeit zerstören, die alle bei den Kügelchen hegen? Ich nicht. Sollnse doch. Mir egal. So schlimm finde ich die Homöopathie außerdem gar nicht. Von der Homöopathie bis zum Christkind weiterlesen