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Das Geheimnis der ersten Blätter

Dieser Text erschien im Juni 2014 im gemeinsamen Nachrichten-Portal von web.de, gmx und 1&1. Weil der Blogbereich dort jedoch im April 2018 eingestellt wurde, gibt es den Beitrag jetzt hier im Volltext (vorher waren hier nur Teaser und Link).

Wer schon mal Samen gepflanzt hat, kennt es: Das erste Grün, was aus der Erde lugt, besteht oft aus zwei Blättern, die ganz anders aussehen als alle, die danach kommen. Aber warum eigentlich?

Ich habe ja ein gespaltenes Verhältnis dazu, als Biologin für alle Fragen zuständig zu sein, die mit Lebewesen zu tun haben. Denn oft
tauchen diese Fragen bei Themen auf, die sehr anwendungsbezogen sind und zu denen jeder Praktiker mehr sagen kann als der Durchschnitts-Biologe. Biologen kennen sich heute in der Regel mit Genen und Zellen aus. Sie können mit DNA hantieren und Mikroskope bedienen. Aber es ist alles andere als gesagt, dass sie außerdem noch Ahnung haben von den Schädlingen an Omas Zimmerlinde. Oder dass sie den Schimmelpilz bestimmen können, der neuerdings im Badezimmer des Nachbarn wächst.

Um in Familie und Bekanntenkreis zu beweisen, dass man als Biologin überhaupt von irgendwas Ahnung hat, was Leute wirklich
interessiert, freue ich mich daher immer riesig über Fragen, bei denen die Art von Wissen gefragt ist, die Biologen tatsächlich an der
Uni lernen, wie die nach den auffälligen ersten Blättern vieler Pflanzen.

Weil auf dem Fensterbrett der leidenschaftlichen Gärtnerin der Familie wieder allerhand wuchs, was bald draußen üppige Ernte bringen soll, kam ich mit meiner Schwägerin auf ein auffälliges Phänomen zu sprechen:

Wir hingen mit unseren Köpfen unter der Gardine und bewunderten die vielen kleinen Pflänzchen, als sie mich fragte, woran es
eigentlich läge, dass die Sämlinge immer erst diese zwei Blätter haben, die überhaupt nicht so aussähen wie die der späteren Pflanze und das egal ob man Tomaten gesät habe oder Radieschen, Zucchini oder irgendeine Kohlsorte.

Was sie da als „anders“ identifiziert hat, sind die sogenannten Keimblätter. Für die Pflänzchen, die mit zwei von ihnen zur Welt kommen, ist dieses Merkmal tatsächlich so charakteristisch, dass es seit dem 17. Jahrhundert dazu diente, sie in der Pflanzenwelt als eine Gruppe zusammenzufassen. Und die Gemüse-Sämlinge auf der Fensterbank gehören eindeutig zu dieser Gruppe sogenannter
Zweikeimblättrigen.

Später im Garten finden wir auch Pflanzen, die zu der anderen Gruppe der Bedecktsamer gehören – den Einkeimblättrigen. Auch sie sind wohlbekannt. Es sind die Sämlinge von Gras und von Mais, von Zwiebel und von Knoblauch, bei denen jeweils nur ein erstes Blättchen aus der Erde kommt und nicht zwei.

Bei den Zweikeimblättrigen ist aber viel auffälliger als bei den Einkeimblättrigen, dass diese ersten Blätter anders sind als die, die
danach kommen. Es ist ihnen viel deutlicher anzusehen, dass es die einzigen Blätter sind, die es schon im Embryo gab. Denn das ist mit
dem Begriff Keimblätter gemeint.

Es handelt sich ja bei so einem Samenkorn um nichts anderes als einen winzigen Pflanzen-Embryo in einem Ruhestadium. Er kann Jahre und manchmal sogar Jahrzehnte bis Jahrhunderte überdauern. Aber wenn Wärme und Feuchtigkeit passend sind, legt er einen Kickstart hin. Auf diesen ist der Embryo gut vorbereitet, weil alles Wichtige schon vorangelegt ist.

Jede der Zellen im Embryo „kennt“ schon ihr Schicksal. Sie „weiß“, ob sie im Fall der Fälle helfen wird die erste kleine Wurzel zu bilden
oder ob sie bei der Keimung die zarte, kleine Sprossachse mit aufbaut. Und ein sehr großer Teil der embryonalen Zellen im Samenkorn sind eben schon festgelegt darauf, ein Teil der Keimblätter zu sein.

Besonders auffällig ist der Aufbau des Pflanzenembryos bei den Bohnen, Erbsen und anderen Hülsenfrüchten. Wer vorm Essen die
Samenhülle dieser Zweikeimblättrigen beschädigt, sieht sofort, dass das Innere des Samens zum größten Teil aus diesen zwei länglichen Halbschalen besteht.

Bei diesen beiden Hälften, in die Bohnenkerne, Erbsen und Linsen zerfallen können, handelt es sich um nicht Anderes als die beiden
Keimblätter. Sie nehmen den größten Teil des Embryos ein. Weil sie bei Hülsenfrüchten zudem als Speicherorgane für Eiweiße dienen,
stehen diese Pflanzensamen besonders hoch im Kurs, die einen Ersatz für Fleisch und anderes tierisches Eiweiß suchen.
Hülsenfrüchte sind aber auch ein gutes Beispiel dafür, dass Zweikeimblättrige sich bei der Keimung nicht immer gleich offensiv als solche outen. Die Gartenbohne keimt zwar so, dass wir ihre Keimblätter über der Erde zu sehen kriegen. Ihre Verwandte, die
Gartenerbse aber, zeigt uns ihre zwei Keimblätter bei der Keimung nie. Sie spielen zwar eine große Rolle bei der Keimung, bleiben dabei
aber unter der Erde.

Weil es einige solcher Heimlichtuer unter den Zweikeimblättrigen gibt, lässt sich aus dem Fehlen von zwei einfachen Keimblättern also
nicht unbedingt schließen, dass eine Pflanze zu einer anderen Gruppe gehört.

Rätselauflösung: Kein Teich mehr für den Nachwuchs – Biologie des Eies (4)

grünes_Ei_mit_Augen3Die Rätselfrage im März (die leider nicht gelöst wurde) war ja: Was macht es möglich, dass Eidechsen, Spatzen und Füchse keinen Teich brauchen für ihre Eier, Frösche aber schon?

Also: Welche evolutionäre Neuerung erlaubt es ihren Embryonen, die Entwicklung außerhalb vom Wasser zu vollziehen? Rätselauflösung: Kein Teich mehr für den Nachwuchs – Biologie des Eies (4) weiterlesen

Pollen sind keine Baum-Spermien

Vor ein paar Wochen, als es besonders schlimm war mit dem Pollenstaub, der dick und gelb auf Auto, Terrassentisch und Fensterscheiben lag, schimpften wir grinsend über „diese verdammten Baumspermien“. Musste gerade wieder dran denken, beim Blick auf das, was von den Blumen in der Vase so runterfällt.

Allerdings ist es irreführend Pollenkörner mit Spermien gleichzusetzen, auch wenn’s lustig ist. Die Sache mit den Blümchen und Bienchen ist etwas komplexer, aber auch wesentlich interessanter als bei uns Wirbeltieren. Es versteckt sich darin nämlich ein geheimer Generationswechsel. Pollen sind keine Baum-Spermien weiterlesen