Glaube & Wissenschaft in Konflikt? Rezension zweier christlicher Kinderbücher über Evolution

Im heutigen, dritten Teil meines Rezensionsmarathons bis zum Welttag des Buches möchte ich zwei Kinderbücher vorstellen, die sich zwar beide aus religiöser Perspektive mit dem Thema Evolution beschäftigen, trotzdem aber unterschiedlicher nicht sein könnten:

„Das Buch vom Anfang von allem“ repräsentiert ganz schön die Haltung der liberalen christlichen Theologien, die sich um friedliche Koexistenz mit der Evolutionsbiologie bemühen. Der Schlunz und der geheimnisvolle Schatten  dagegen ist aus evangelikaler, bibeltreuer Position heraus geschrieben, die in Sachen Evolution in offener Opposition zur Wissenschaft stehen.

Evangelikales kommt gut an

„Der Schlunz und der geheimnisvolle Schatten“ ist der dritte Band einer 7-teiligen Kinderroman-Reihe von Harry Voß, die ziemlich erfolgreich ist.  Der 2008 zum ersten Mal erschienene dritte Band ist bereits in der 8. Auflage. Im Wikipedia-Artikel zur Buchreihe heißt es, von der Reihe seien bereits über eine halbe Millionen Bücher verkauft worden. Sogar verfilmt wurde sie schon.

Hauptfigur des Buches (und der ganzen Reihe) ist der Schlunz, ein Junge, der ohne Gedächtnis gefunden wurde und nun als Pflegekind bei einer Familie lebt, die in der Geschichte als christlich vorgestellt wird. Eine weitere Einordnung findet nicht statt. Es bleibt den Kinder überlassen, ob sie wissen oder rausfinden, dass hier eine Familie mit evangelikalem Glaubensverständnis beschrieben wird.

Im Band „Der Schlunz und der geheimnisvolle Schatten“ sorgt ein thrillerartiger Handlungsstrang für Spannung, denn das Leben des Schlunz wird immer wieder von Unbekannten bedroht. Das Thema Evolution ist nicht Teil dieses Hauptstrangs der Erzählung, sondern wird in den „Pausen“ behandelt, in denen die Protagonisten essen, spielen und sich unterhalten, aber eben auch beten, über Moral diskutieren und Glaubensvorstellungen erörtern.

Bibeltreue Wissenschaftsablehnung

Der Schlunz stolpert dabei selbstbewusst fragend in Themen hinein und die Christen der Geschichte, etwa sein Pflegevater oder der Betreuer der christlichen Kindergruppe, erklären ihm die evangelikale Sicht der Dinge. Und aus der heraus ist die Sache ganz klar: Gott hat die Welt erschaffen und zwar genau so wie es in der Bibel steht. Und wenn die Wissenschaft zu einem anderen Schluss kommt, dann irrt sie eben.

Dabei wird genau unterschieden. Erkenntnisse der Wissenschaft, die mit der Bibel vereinbar sind, werden problemlos akzeptiert, wie etwa dass es mal Dinos gab und dass sie inzwischen ausgestorben sind.  Weil aber nach biblischer Darstellung alle Tiere und die Menschen in der Schöpfungswoche entstanden, wird die wissenschaftliche Sicht, dass Dinos lebten und ausstarben bevor der Mensch entstand war, völlig abgelehnt.

Man muss wissen: Um das abzulehnen, muss man ziemlich viel gleich mit ablehnen und das tut Harry Voß auch. So stellt er etwa die geologischen Methoden zur Altersbestimmung von Gesteinen als grundsätzlich falsch dar. Auch die wissenschaftliche Sicht, dass sich heute lebende Tiere aus Arten entwickelt haben, die früher gelebt haben, wird rundheraus abgelehnt. Die Interpretation der Knochenfunde durch die Forscher sei schlicht falsch, erklärt das Buch (erwähnt aber nicht, dass dann ja auch die genetische Verwandtschaftsanalyse falsch sein müsste).

Das Buch geht also ziemlich weit. Es wird lupenreiner Kurzzeit-Kreationismus vermittelt. Die Bibel ist wortwörtlich zu verstehen und nichts, was ihr widerspricht, kann richtig sein.

Der Schlunz und der geheimnisvolle Schatten
von Harry Voß
Gebundene Ausgabe: 192 Seiten
Verlag: SCM R. Brockhaus; Auflage: 9 (3. August 2015)
ISBN-10: 3417260736
ISBN-13: 978-3417260731
Vom Hersteller empfohlenes Alter: 8 – 9 Jahre
Größe und/oder Gewicht: 13,9 x 2 x 21,1 cm
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Die Sicht der liberalen Theologie

Ein ganz anderes Glaubensverständnis vertritt Rainer Oberthür in dem kürzlich erschienenen Kinderbuch „Das Buch vom Anfang von allem“. Der katholische Religionspädagoge schreibt auf seiner Webseite, er verstehe sein Buch als einen

Beitrag gegen einen religiösen Fundamentalismus auf der einen Seite und gegen den sog. neuen, aggressiven Atheismus auf der anderen Seite – gegen das wörtliche Missverstehen der Schöpfungstexte der Bibel und gegen einen einseitigen Materialismus, der das Geheimnis der Welt auch nicht erklären kann.

Die Schöpfungstexte wortwörtlich zu verstehen ist für Oberthür also  ein Missverstehen der Bibel. Wie die Mehrheit der katholischen wie auch evangelischen Theologen heute liest er die Bibel als einen historischen Text, der von Menschen damals mit ihrem damaligen Verständnis der Welt aufgeschrieben wurden und der vor allem metaphorisch verstanden werden muss. Die Bedeutung fürs eigene Leben erschließt sich für sie erst, wenn der symbolische Sinn hinter den biblischen Texte verstanden wird.

Manchmal irrt die Bibel, aber das ist nicht so wichtig

Daher hat Oberthür auch kein Problem zu schreiben, was wir heute wissen: dass die Welt nicht in sieben Tagen entstand, sondern in Millirarden von Jahren. Und dass die Pflanzen nicht – wie in der Schöpfungsgeschichte beschrieben – vor, sondern natürlich nach den Sternen auf die Welt kamen. Aber nicht das Wie sei wichtig, sagt er, sondern das Woher, Warum und Wozu. Und dass alles von Gott kommt.

Am Anfang des Buches steht ein Gedicht von Jürg Amann, in dem u.a. gefragt wird: „Wenn man nur wüsste, wie sie gemeint ist, die Welt“ …  und weiter unten: „ob wir gemeint sind“ und am Ende des Buches setzt Rainer Oberthür seine Version des Gedichtes, in der es heißt „Durch DICH dürfen wir glauben,… dass wir gemeint sind…“

Zwischen diesen beiden Gedichten am Anfang und am Ende erzählt der Autor die Entstehung des Lebens und der Menschen auf der Erde zweimal – oben in blauer Schrift und aus eher wissenschaftlicher Sicht,  unten in roter Schrift und aus vorwiegend biblischer Sicht.

Die Emotionen, die Oberthür auf zweierlei Weise hier ansprechen will, sind Staunen und Ehrfurcht, aber auch Vertrauen. So wie ich es sehe, sollen wohl beide Texte den jungen Lesern versichern, dass „wir gemeint sind“, sprich: dass Gott uns geschaffen hat und dass er auf uns aufpasst.

Dabei sieht der Autor die wissenschaftliche und die religiöse Sicht nicht in Konflikt miteinander. Es sind aus seiner Sicht nur zwei Geschichten, die beide wahr sind. Auf der Buchrückseite heißt es: „Alle Dinge, die wir sehen, können wir doppelt anschauen – als Tatsache und als Geheimnis.“

Man könnte also meinen es gäbe zwischen liberal-theologischer Sicht und den Naturwissenschaften keinen Konflikt. Aber ist das auch so?

Die Sache mit dem Lebensfunken und dem Zufall

Nun gibt es aber durchaus auch in Oberthürs Buch Sätze, mit denen Biologen wie ich ihre Schwierigkeiten haben. So fragt er im oberen, naturwissenschaftlichen Teil an einer Stelle: „Wie kommt Leben in die Materie? Wer sorgt für den ersten Lebensfunken?“ Und beantwortet die Frage im unteren, biblischen Teil mit: „Ein großer Augenblick. das Leben erblickt durch Gott das Licht der Welt!“

Mit dieser Darstellung werden sich die meisten Biologen unwohl fühlen, weil der darin zum Ausdruck kommende Vitalismus in der Biologie als alte, überkommene Vorstellung gilt. Organismen werden schon lange nicht mehr als Materie gesehen, dem Leben irgendwie eingehaucht wurde, sondern man sieht sie als Materie, die lebt, weil sie auf bestimmte Art organisiert ist.

Auch wie der Zufall im oberen, naturwissenschaftlich gemeinten Teil behandelt wird, bildet ganz sicher nicht die evolutionsbiologische Perspektive ab. Oberthür stellt in Frage, dass bei der Entstehung und Weiterentwicklung des Lebens Zufälle eine Rolle spielten und nimmt stattdessen an, dass „eine Ordnung, eine Absicht, ein Wille“ dahinter stehe.

Im Biologie-Studium heißt es aber in jedem Genetik-Lehrbuch: „Mutationen entstehen spontan, zufällig und ungerichtet“. Und diese zufällig passierenden Mutationen verursachen die Variation von Merkmalen unter Organismen. Variation wiederum bildet zusammen mit der Selektion den Motor aller evolutionären Veränderungen.

Die Vorstellung einer Evolution also, hinter der die ordnende Hand Gottes steht, ist keine originär biologische, sondern eine religiös motivierte Idee, die auch als Theistische Evolution bezeichnet wird.

Das Buch vom Anfang von allem
Bibel, Naturwissenschaft und das Geheimnis unseres Universums
von Rainer Oberthür

Gebundene Ausgabe: 112 Seiten
Verlag: Kösel-Verlag; Auflage: 2 (30. März 2015)
ISBN-10: 3466371279
ISBN-13: 978-3466371273
Vom Hersteller empfohlenes Alter: Ab 8 Jahren
Größe und/oder Gewicht: 16,9 x 1,7 x 24,4 cm
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Fazit

Zwei religiöse Kinderbücher – zwei Glaubensvorstellungen. Die evangelikale Sicht wie sie in Der Schlunz under der geheimnisvolle Schatten dargestellt wird steht in größerem Konflikt mit der Wissenschaft. Sie akzeptiert nur solche wissenschaftliche Erkenntnis, die mit der Bibel in Übereinstimmung gebracht werden kann.

Die liberale Theologie der großen Kirchen wie sie in Das Buch vom Anfang von allem beschrieben wird, hat kleinere Reibungsflächen mit den Wissenschaften. Sie kann durch ihre metaphorische Auslegung der Bibel mehr gelten lassen. Aber auch in der liberalen Theologie gibt es Punkte, an denen sich Evolutionsbiologie und Glauben nicht unbedingt gut vertragen.

Wenn man mit seinen Kindern über die christlichen Vorstellungen von Schöpfung reden möchte, sind die vorgestellten Bücher sicher eine Grundlage. Wenn es einem aber darum geht Kindern biologische Konzepte zu vermitteln, sind religiös motivierte Bücher nicht geeignet – auch in der liberal-theologischen Variante nicht.

Weitere Rezensionen von Kinderbüchern über Evolution

Samstag ist Welttag des Buches und im Rahmen der Aktion Blogger schenken Lesefreude möchte ich daher diese Woche jeden Tag Kinderbücher über Evolution rezensieren. Eins der vorgestellten Bücher wird am Samstag, den 23. April, dann auch verlost. Welches verrate ich noch nicht.

Am Montag habe ich das Buch „Maras Reisen“ besprochen.  Gestern war Der Baum des Lebens – Die Evolution an der Reihe. Und hier ist die Vorschau, welche Bücher ich noch rezensieren werde diese Woche.


Jedes Buch über Evolution ist anders. Es gibt welche für kleine und große Kinder. Es gibt Geschichten und Sachbücher. Es gibt Bilderbücher und Romane. Hier geht’s zu meiner immer länger werdenden Liste bisher rezensierter Kinder- und Jugendbücher über Evolution.

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