Von Ideologie korrumpiert – wenn Naturschutz und Transparenz die falschen Anwälte haben

Sie warnen vor der Macht der großen Branchenlobbys, sind aber selbst zutiefst korrumpiert – von Dogmen, Feindbildern und einem Glauben, der nicht überprüft werden darf. Wie NGOs mit grün-linksalternativem Populismus Demokratie und Wissenschaft gefährden.

In einer Erklärung, die „Corporate Europe Advisory“ (CEO) am letzten Freitag auf ihrer Website veröffentlichte, wirbt die Nicht-Regierungsorganisation noch einmal für die Abschaffung des Wissenschaftlichen Beraterpostens der EU.

Die NGO ist neben Greenpeace Europe eine der 9 Organisationen, die den offenen Brief an den kommenden Präsidenten der Europäischen Kommission, Jean-Claude Juncker, unterschrieben haben, über den ich mich seit Ende Juli aufrege.

In dem neuen Text zeigen sich die selbsternannten Watchdogs der EU-Business-Lobby verwundert darüber, dass sich gerade Sense about Science in einem zweiten offenen Brief gegen sie stellte. Eine NGO, die doch einen scheinbar ähnlichen Kampf gegen Kräfte aus der Pharmalobby unterstützt – die Alltrials-Kampagne für Studientransparenz in der klinischen Forschung.

Sie stellen es als völlig unverständlich dar, dass sie selbst und ihre Mitstreiter sich das Etikett „anti-science“ eingefangen haben, obwohl sie doch die Position des Wissenschaftlichen Beraters nicht etwa abschaffen wollen, um die Stimme der Wissenschaft in der EU zu schwächen, sondern ganz im Gegenteil, um sie zu stärken.

Sie würden doch „nur“ sagen, dass sie die Beratung in Form einer einzigen Person ablehnen und sich stattdessen einsetzen für „rigoros unabhängige, multi-disziplinäre, transparente und gut finanzierte wissenschaftliche Politikberatung“.

Sie bemühen sich klarzustellen, dass sie mit Unabhängigkeit meinten, diese Forschung solle unabhängig sein sowohl von politischem Druck (auch von Organisationen wie ihrer eigenen), als auch von finanziellen Interessen.

War also alles nur ein Missverständnis? Habe auch ich mich geirrt in meiner Einschätzung, dass es sich bei dem Brief der neun NGOs um einen Angriff auf die Wissenschaft handelt? Geht es ihnen wirklich nur um Natur- und Verbrauchersschutz, um Transparenz und Unabhängigkeit der Forschung? Ziele, die ja auch für mich auf der Prioritätenliste ganz oben stehen?

Nun, ich muss leider sagen, dass dem nicht so ist. Und ich möchte hier darstellen, warum sich CEO, Greenpeace und die anderen Unterzeichner des offenen Briefes aus meiner Sicht nicht nur nicht eignen als Anwälte für diese ehrenwerten Ziele. Sondern warum sie die Erreichung dieser Ziele sogar eher behindern als fördern.

Ich muss vorwegschicken: Die grüne, linksalternative Bewegung gründet aus meiner Sicht in guten Zielen. Sie stehen für Pazifismus. Sie warnen vor den Gefahren der Atomkraft. Umweltschutz hat für sie einen hohen Wert, genauso wie Menschenrechte und die Emanzipation von Frauen, Homosexuellen und Behinderten. Auch stehen sie für mich dafür, die Macht von Unternehmen zu hinterfragen, genauso Staatsinterssen, die im Namen der Sicherheit Bürgerrechte einschränken wollen.

Das sind alles Werte, hinter denen ich auch stehen kann.

Aber gerade weil ich so dahinter stehe, ist es für mich schmerzlich, dass die populistischen Stimmen in dieser Bewegung immer lauter werden. Ich höre in den Statements von Parteien, Organisationen und Einzelpersonen immer öfter, dass es nicht mehr um diese Werte geht oder überhaupt um positiv formulierte Ziele, sondern vermehrt um den lustvoll inszenierten Kampf gegen Lieblingsfeinde.

Und es ist in den letzten Jahrzehnten eine Stimmung in so manchen grün-linksalternativen Kreisen entstanden, in der abweichende Meinungen nicht mehr als normaler Ausdruck von Vielfalt und Demokratie verstanden werden, sondern als Verrat. Als eine Art Überlaufen zum Feind, das mit dem Ausschluss aus der Gruppe bestraft wird.

Eine dieser identitätsstiftenden Grundsatz-Fragen ist die nach der grünen Gentechnik. Dass diese gefährlich ist und abzulehnen, ist eine der Grundüberzeugungen in der Umwelt-, Feminismus und Antiglobalisierungsbewegung. Eine Grundüberzeugung, die nicht mehr in Frage gestellt werden darf.  Man kann zu dieser Frage keine andere Meinung mehr haben, ohne als Verräter zu gelten, ohne dass man als quasi Gehirngewaschener ausgestoßen wird.

Nun würde diese ideologische Verhärtung nicht auffallen, wenn sich tatsächlich herausgestellt hätte, dass an diesen harten Vorurteilen was dran ist. Wenn sich grundsätzliche gesundheitliche oder Umweltgefahren gezeigt hätten bei der Verwendung von Gentechnik als Zucht-Methode, dann würde ich hier die gleichen Gruppen vielleicht als frühe Warner preisen, als Leute, auf deren Intuitionen man sich verlassen kann.

Aber das hat sich glücklicherweise nicht gezeigt. Weder in den Zulassungverfahren, noch in der unabhängigen Sicherheitsforschung, noch im großflächigen „Selbstversuch“ der US-Amerikaner, die seit Jahren Produkte essen, die aus gentechnisch veränderten Pflanzen hergestellt werden, hat sich irgendein Hinweis ergeben, dass vom Werkzeug Gentechnik als neue Methode in der Pflanzenzucht irgendeine Gefahr für Mensch oder Umwelt ausgeht.

Daraus ergibt sich noch nicht, dass Gentech-Pflanzen besser sind als herkömmliche Züchtungen oder sonst eine positive Bewertung über den Nutzen der Pflanzen oder der Konzerne, die ihr Saatgut vertreiben. Das steht auf einem ganz anderen Blatt. Nein, damit ist einzig und allein gesagt, dass es keinerlei Hinweise darauf gibt, dass Gentech-Pflanzen nicht genauso sicher sind wie andere Pflanzen auch. Das ist alles. – Aber das allein ist doch so viel mehr als Gentechnik-Gegner zugeben können.

Dabei sollte es eigentlich eine gute Nachricht sein für eine Bewegung, die Natur- und Verbraucherschutz ganz groß schreibt. Sollte man meinen. „Puh, ein Glück hatten wir diesmal nicht recht, wir sind nicht in Gefahr“, wäre die mindeste Reaktion, die ich erwartet hätte. Die grüne, linksalternative Szene muss ja nur zugeben, dass die Gentechnik eben doch keine Atomkraft 2.0 ist. Dass davon offensichtlich doch keine grundsätzliche Gefahr ausgeht. Aber diese Einsicht kommt nicht. Obwohl sie schon längst überfällig wäre.

Das ist – für mich zumindest – zutiefst beunruhigend. Beunruhigend ist vor allem, was damit zusammenhängt und zunehmend sichtbar wird. Denn eine eigentlich unhaltbare Position wie diese kann nur dann gegen jede Evidenz aufrechterhalten werden, wenn man wirklichkeitsverzerrende  Zusatzannahmen macht. Zum Beispiel indem man annimmt, die Ergebnisse seien falsch, weil die gesamte relevante Wissenschaft durch jene Unternehmen unterwandert ist, die an grüner Gentechnik verdienen.

Für diese – das Feindbild Gentechnik am Leben erhaltenden -Verschwörungstheorien, finden sich auch in dem neuen Text selbst zahlreiche Hinweise. „Unglücklicherweise“, so heißt es an einer Stelle, sei „die Debatte entgleist, weg von dem nötigen Gespräch darüber, wie Politiker wissenschaftliche Evidenz benutzten (oder ignorierten) und noch wichtiger, wie diese Evidenz produziert werde (welche Freiheit haben Wissenschaftler noch, wenn das Budget gekürzt wird und sie gezwungen sind mit der Industrie zusammenzuarbeiten?)“

Es wird damit suggeriert, es gäbe keine Sicherheitsforschung, die völlig unabhängig von ökonomischen Interessen ist. Was einfach nicht stimmt. Zwischen 2001 und 2010 hat allein die EU rund 200 Mio. Euro an öffentlichen Geldern in diese Art von Studien gesteckt, deren Ergebnisse gut aufbereitet und für jeden zugänglich sind. Rechnet man die Forschung seit den 80ern noch mit, sind es insgesamt 300 Mio. Euro.

25 Jahren Sicherheitsforschung in 130 Projekten und in 500 unabhängigen Forschergruppen lassen sich zu einem Hauptergebnis zusammenfassen heißt es dort: Dass „mit Biotechnologie im Allgemeinen und gentechnisch veränderten Pflanzen im Besonderen per se kein höheres Risiko verbunden ist als mit konventioneller Pflanzenzüchtung.“

Und zu diesen durch Millionen von Steuergeldern finanzierten, doch sehr beruhigenden Ergebnissen gesellen sich ja noch die Ergebnisse von unzähligen, von den einzelnen Ländern weltweit durchgeführten und ebenfalls öffentlich finanzierten Studien und Zulassungverfahren, die zu dem gleichen Ergebnis kommen, nämlich, dass es kein Gentechnik-spezifisches Sicherheitsproblem gibt.

Doch das alles zählt nicht für die Gentechnik-Gegner. Und ganz offensichtlich aus dem einfachen Grund, weil einfach nicht sein kann, was nicht sein darf.

Die Anführungszeichen, mit denen Corporate European Observatory den Begriff „wissenschaftlicher Konsens“ in ihrem Text versehen, zeigt sehr deutlich, dass sie einen Konsens mit diesem Ergebnis einfach niemals akzeptieren werden – schon aus – zum Dogma erstarrten – Prinzip .

Für mich jedenfalls ist diese Haltung nur erklärbar, wenn ich sie mir als eine gegenüber rationalen Argumenten längst immunisierte Meinung vorstelle, als eine rein moralische Abscheu gegen Gentechnik.

Diese zeigt sich für mich auch darin, dass die Leute hinter CEO die Aussagen von Amtsinhaberin Anne Glover als unstatthafte und rein persönliche Meinungsäußerung ansehen, obwohl sie nur sagt, was die Sicherheitsforschung von Jahrzehnten sagt: dass es einen breiten, wissenschaftlichen Konsens gibt über die Sicherheit von gentechnisch veränderten Nutzpflanzen.

Auch wenn sich CEO völlig überrascht zeigt, dass sich andere NGOs gegen sie wenden. Fakt ist: ihre Haltung unterscheidet sich fundamental von der Haltung, die „Sense about Science“ und die Alltrials-Kampagne in der Verbesserung der klinischen Forschung einnimmt.

Oberflächlich scheint es Parallelen zu geben, denn auch diese für Evidenzbasierung kämpfende NGOs sind ja skeptisch gegenüber unternehmensfinanzierter Forschung. Sie betonen, wie wichtig Transparenz und unabhängige Bewertung ist, weil es vorkommt, dass Pharma-Firmen den Nutzen neuer Medikamente überoptimistisch darstellen und Risiken verharmlosen.

Der Riesen-Unterschied zwischen „Sense about Science“ und Alltrials auf der einen und den Gentechnik-Kritikern auf der anderen Seite ist aber, welche Erwartungen die beiden an die Ergebnisse haben.

Die sich für evidenzbasierte Medizin einsetzende Mediziner und Wissenschaftler kämpfen „nur“ dafür, dass jede Studie registriert wird und die Ergebnisse jeder Studie dokumentiert werden. Sie kämpfen „nur“ dafür, dass unabhängige Forscher Zugang zu Daten haben, um sie selbst noch einmal prüfen zu können. Wichtig ist aber: Sie behaupten nicht, die richtigen Ergebnis schon vor dieser Überprüfung zu kennen.

Bei Gentechnik-Gegner aber ist es genau andersrum. Sie haben ganz klare Erwartungen an die Ergebnisse von Sicherheitsforschung. Es darf nur eine Art von Ergebnis rauskommen: nämlich, dass Gentechnik gefährlich ist. Studien, die ein anderes Ergebnis haben, werden einfach ignoriert oder als unglaubwürdig abgelehnt. Die Handvoll Studien dagegen, die die „richtigen“, sprich der Ideologie entsprechenden Ergebnisse haben, werden hochgejubelt, egal wie klein oder schlecht gemacht sie sind.

Dass ihre Ziele nicht in der Verbesserung von Forschung liegen, merkt man daran, dass sie eben nicht – wie die Kämpfer für Evidenz-basiert Medizin – mit Mühe darum kämpfen jede Studie und jedes Ergebnis zu kennen um dann die besten Studien zu einer Aussage höchster Evidenz zusammenzuführen, sondern dass sie im Gegenteil allein am Ergebnis festmachen, welche Studie sie gut und welche sie schlecht finden.

Von dieser grundsätzlichen Art ist der Graben, der „Sense about Science“ und Alltrials auf der einen von den Gentechnik-Gegnern auf der anderen Seite trennt. Ein Graben zwischen kritischen Wissenschaftlern auf der einen und esoterisch argumentierenden Ideologen auf der anderen Seite. Die einen halten die Wissenschaft hoch und versuchen sie zu verbessern, die anderen attackieren die Wissenschaft als parteiisch bzw. unterwandert, picken sich aber selbst aus ihr nur das heraus, was in ihre Ideologie passt.

Diese grundsätzliche Nicht-Akzeptanz wissenschaftlicher Evidenz in Sachen Gentechnik – egal wie unabhängig sie gewonnen wurde – ist schon lange ein Manko grüner Überzeugungen. Aber diesmal sind die Anwälte dieser Weltsicht zu weit gegangen. Und ich bin daher sehr froh, dass aus ganz Europa und darüber hinaus, wissenschaftliche Organisationen dagegen Stellung bezogen haben und mit ihren Unterschriften unter dem Brief von Sense about Science die Position des Wissenschaftlichen Beraters stärken.

Und diese Organisationen sind nicht – wie CEO suggerieren möchte, lediglich wirtschaftsnahe oder auch nur die naturwissenschaftliche Forschung, sondern da demonstrieren auch die Dachorganisationen aller Wissenschaftsakademien Europas geschlossen gegen diesen einzigartigen Versuch, das Vertrauen in die Wissenschaft zu untergraben. Und ich meine wirklich, dass die gesamte europäische Wissenschaft dagegen aufsteht.

Das ist beeindruckend. Und ein klares Zeichen dafür, dass es einfach nicht mehr so weiter gehen kann, wenn NGOs das Vertrauen derart missbrauchen, das sie bei weiten Teilen der Bevölkerung genießen.

Gerade weil mir die Werte der grünen Bewegung viel bedeuten, hoffe ich sehr, dass sich innerhalb ihrer Organisationen und Parteien ein Bewusstsein bildet, dass sich in ihren Reihen eine Realitätsverzerrung und ein Populismus  breitgemacht hat, die keinem ihrer ursprünglichen Zielen dient, sondern nur dem Gruppenzusammenhalt über die Pflege gemeinsamer Feindbilder. – Eine Entwicklung, die bei keiner politischen Richtung je zu einer besseren Welt geführt haben, sondern nur zu Zerstörung, Hass und Gewalt gegenüber Andersdenkenden.

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2 Gedanken zu „Von Ideologie korrumpiert – wenn Naturschutz und Transparenz die falschen Anwälte haben“

  1. Wichtiger Beitrag. Ideologie und Dogmen bringen uns nicht weiter. Für mich liegt der eigentliche Skandal bei der Gentechnik auch woanders, nämlich bei der Patentierbarkeit. Gäbe es keine Möglichkeit, Gene etc. zu patentieren, kämen Auswüchse wie giftproduzierende Pflanzen oder Pflanzen, die gegen das Gift eines bestimmten Konzerns immun sind, wohl seltener oder gar nicht vor. Leider findet aber gerade eine zweite Zerstörung der Allmende statt, gegen die man alle Kräfte zusammenziehen muss. http://literatur.hasecke.com/Essays/demeter-und-die-allmende-des-seins

    1. Ja, viele sagen, ihnen ginge es um etwas Anderes bei ihrer Ablehnung gentechnisch veränderter Pflanzen. Um die Patente, um Monokultur, um die Pestizide, um Monopolisierung. Aber all das gab und gäbe es auch ohne GV-Pflanzen.

      Ich hatte eine ähnliche Unterhaltung vor nem Monat, da ging es auch um „das Schlechte, was mit Gentechnik zusammenhängt„, ich habe dort auch eine Dokumentation ausführlich besprochen, die so argumentiert. Ich finde das sehr bedenklich.

      Das fällt für mich alles unter das gute alte und Sündenbock-Prinzip. Ist vielleicht einfach, alle im Dorf gegen Gentechnik zu vereinen, weil jeder irgendwie sein Lieblingsfeindbild drauf projizieren kann. Aber das für dich Schlechte, was du bekämpfen willst, also die Patentierbarkeit, geht ja auch überhaupt nicht weg davon, dass du Gentechnik ablehnst. Es bleibt also eine Ersatzhandlung.

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