Können Kinder Evolution verstehen? – Kinderbücher 2013

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Evo-Buecher_lesendMein Großer (9) und ich uns haben uns mal die Kinderbücher zum Thema Evolution genauer angeschaut, die dieses Jahr erschienen sind. Eins davon ist ein Sachbuch, zwei sind Romane, aber alle drei wollen sowohl unterhalten als auch etwas über die Prinzipien und den Verlauf der Evolution vermitteln.

Ich geb’s zu, ich hatte unter den drei Büchern gleich einen Favoriten: „Calpurnias (r)evolutionäre Entdeckungen“ von Jacqueline Kelly. Schon die Optik und der Klappentext sagten mir, dass ich den im Hanser Verlag erschienenen historischen Jugendroman selbst mit Genuss lesen würde. Und so war es auch.

Die Geschichte spielt im Süden der USA im letzten Jahr des 19. Jahrhunderts. Die Protagonistin ist die 11-jährige Tochter eines Baumwollfarmers. Weil sie ein Interesse an Biologie entwickelt, kommt sie ihrem schrulligen Großvater näher, der seine alten Tage als Naturforscher verbringt. Mit ihm entdeckt sie die aufregende Welt des damaligen Wissens. Sie lernt genau zu beobachten und penibel Notizen zu machen, Wertungen zurückzustellen und geduldig Ergebnisse abzuwarten, aber auch welch‘ unvergleichliches Gefühl es ist, etwas zu entdecken, was niemand zuvor beschrieben hat.

KELLY_24165_MR.inddDie Wissens-Jagdgründe der beiden liegen in der Wildnis um die Farm herum, aber auch in dem alten Schuppen, den der Großvater sein Laboratorium nennt. Und wenn sie nicht umherstreifen oder experimentieren, diskutieren sie in der Bibliothek, in der sogar Darwins unerhörtes Buch steht.

Die Autorin erliegt aber nie der Versuchung über naturwissenschaftliche Erkenntnisse zu dozieren und darüber ihre Geschichte zu vergessen. Im Gegenteil. Jacqueline Kelly schafft es, die Forschungen von Großvater und Enkelin auf wunderbare Weise einzuflechten in die Schilderungen des Lebens auf der Farm.

Es ist schön zu lesen, wie die Wissenschaft einen selbstverständlichen Platz findet in dieser ruhigen, atmosphärisch dichten Geschichte von Calpurnias Südstaaten-Lebenswelt, ihren Beziehungen zu den sechs ganz unterschiedlichen Brüdern oder zwischen die Streits mit der Mutter, die lieber sähe, wenn die Tochter ihren Ehrgeiz in Klavier, Klöppeln und Küchenarbeit steckte. Auch vermittelt die Geschichte kindgerecht etwas vom Lebensgefühl, von Klassen- und Rassen-Dünkeln und der Aufregung, die mit den technischen Neuerungen der Zeit einhergehen.

Das Buch vermittelt Jugendlichen einen kleinen Einblick in wissenschaftliches Denken und dass die Herangehensweise der Forschung nichts Entrücktes ist, sondern sich vom Alltagstun oft nur durch besondere Sorgfalt und Ausdauer unterscheidet, durch die besondere Mischung von Leidenschaft und Disziplin. Ich denke, dass die Geschichte um Calpurnia und ihre Entdeckungen nicht nur für Biologie-Interessierte geeignet ist, sondern auch für lesehungrige Teenager-Mädchen, die einen Faible für historische Stoffe haben. Altersempfehlung des Verlages ist 12-15 Jahre. Aber das Buch ist durchaus auch für Erwachsene eine schöne Lektüre. Ich jedenfalls habe es genossen.

Jacqueline Kelly: Calpurnias (r)evolutionäre Entdeckungen
Hanser Verlag, ISBN-13: 978-3446241657
Gebundene Ausgabe 16,90 Euro
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Dass ich Calpurnia für Mädchen empfehle hat übrigens den einfachen Grund, dass mein neunjährigen Sohn das Buch überhaupt nicht wahrzunehmen schien…

WarumDarum_EvoDafür erregte ein anderes Buch, das zeitgleich ankam, sofort seine Aufmerksamkeit: „Warum? Darum! Evolution: Bei dir piepts wohl!“ schnappte er sich sofort und schmökerte durch die vielen „frechen Fragen zu Darwin, Dinos und Dodos„. Als ich ihn fragte, wie er das Buch denn finde, schaute er kaum auf, sondern murmelte nur grinsend: „Das ist lustig!“ Woraus ich schloss, dass das im Oetinger Verlag erschienene „Warum? Darum! Evolution“ wohl ebenso perfekt auf die Zielgruppe der 8-10-jährigen Jungen ausgerichtet ist, wie Calpurnia auf (angehenden) Leserinnen von historischen Frauenromanen.

„Warum? Darum!“ ist eine aus dem Italienischen übersetzte Reihe von Wissenschaftsbüchern für Kinder. Andere Bücher widmen sich der Geologie, Astronomie und Mathematik. Sie sind geprägt durch lockere, amüsant illustrierte Interviews des Journalisten Frederico Taddia mit Experten des jeweiligen Faches. Im Fall der Evolution ist Taddias Gesprächspartner der Wissenschaftstheoretik-Professor Telmo Pievani, der sich schon lange der allgemeinverständlichen Vermittlung von Evolutionswissen verschrieben hat.

Die beiden liefern kurze, zugespitze Texte mit viel Witz. Fragen wie „Ist der Mensch ein Tier?“ werden vielschichtig behandelt – einerseits ernsthaft erklärend (dass die Affen und wir uns aus den selben Vorfahren entwickelten und uns daher einen Urururururur…… großvater teilen), andererseits mit vielen humorigen Auflockerungen drin, wie der Bemerkung, dass die Flores-Menschen so klein waren, dass wir ihnen auf den Kopf hätten spucken können. Eine solche Mischung von Fakten und flapsigen Kommentaren kommt generell gut an bei den Dritt- und Viertklässler-Jungs.

34 Fragen werden in dem Buch beantwortet, mal auf nur einer Seite, mal auf drei Seiten. Dabei deckt das Duo einen großen Themenbereich ab: „Gibt es heute noch Dinosaurier“ oder „Warum sind wir nicht alle gleich?“ oder „Welches Tier ist uns am ähnlichsten?“ oder „Können durch die Evolution auch neue Krankheiten entstehen?“

Manchmal wird das Buch moralisch. Wenn es um Tiere geht, die vom Menschen ausgerottet wurden. Wenn es um die Zukunft des Menschen geht oder darum, ob der Mensch kriegerischer ist als die Tiere. Ich weiß noch genau, dass mich so was als Heranwachsende nicht gestört hat. Ich habe als Teenie gerne Hoimar von Dithfurth-Bücher gelesen, in denen Wissenschaftsthemen und Politik nebeneinander und miteinander verschlungen dargestellt wurden. Heute mag ich das nicht mehr so. Jetzt diskutiere ich die Wissenschaft lieber rein um der Wissenschaft wegen. Etwas Politisches direkt aus ihr ableiten zu wollen ist eh‘ oft ein Fehler.

Aber nun, ich bin ja auch nicht mehr die Zielgruppe… und sicher ist, dass im Buch „Warum? Darum! Evolution“ viele wichtige Gedanken aufgegriffen werden und die Kinder einen Einblick bekommen in die Fragen und Konzepte der Evolutionstheorie und in den Verlauf der Evolutionsgeschichte auf der Erde. Und wenn’s ihnen zudem noch Spaß macht, was will man da meckern!

Federico Taddia: Warum? Darum! Evolution: Bei dir piepts wohl! Jede Menge freche Fragen zu Darwin, Dinos und Dodos
Oetinger, ISBN-13: 978-3789185359
Broschiert 7,95 Euro
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Urmel_EvoAls letztes Kinderbuch rund um’s Thema Evolution trudelte uns noch „Urmel saust durch die Zeit“ ins Haus. Es ist das 12. Urmel-Buch des inzwischen über 90-Jährigen Max Kruse. Auch dieses Buch fand ohne meine Mithilfe sofort in die Hände meines Sohnes. Er sah es auf meinem Schreibtisch liegen, öffnete es und versank sofort darin. Erst als er es durchgelesen hatte, war wieder etwas von ihm zu sehen und zu hören.

„Toll!“ lautete sein Urteil. Besonders lustig fand er, dass jedes der sprechenden Tiere seinen eigenen Sprachfehler hat, woran der Eingeweihte sieht, dass das sein erstes Urmel-Buch war. Denn die sprachlichen Eigenheiten der Bewohner von Titiwu macht für Fans ja einen besonderen Reiz der Urmel-Reihe aus. Meinen Sohn sprach das auch an. Er erzählte: „Ping Pinguin zum Beispiel kann kein „sch“ sprechen und deswegen sagt er zu seiner Muschel immer „Mupfel“, hihi.“

Aber auch die Geschichte packte ihn sichtlich. Dass Urmel, Ping und Wawa heimlich zum Zeitgleiter von Professor Habakuk Tibatong schleichen ist ja schon spannend. Noch aufregender wird es aber natürlich als sie das Gerät aus Versehen aktivieren und zusammen mit dem heran eilenden Tim Tintenklecks völlig ungeplant zu den Anfängen der Erde sausen. Das Buch handelt davon, was die vier am Rand der Ursuppe, bei den Dinos und bei den Vorfahren der Menschen erleben.

Über eine Art Funkverbindung des Zeitgleiters können sie glücklicherweise mit dem Professor reden, der ihnen hilft ihren Weg nach Hause zu finden. Über diese Verbindung räumt Autor Max Kruse dem Professor auch einigen Raum ein, kleine Vorträge zum jeweiligen Zeitalter zu halten und darüber zu sprechen, wie das Gesehene zu interpretieren ist. Mein Großer kommentierte die Wissensvermittlung so: „Tja, das mit der Evolution, das wusste ich zwar alles schon, aber die Geschichte war trotzdem spannend.“ Offenbar haben ihn die Gefahrensituationen, in die die vier gerieten, die Eigenheiten und lustig-spitzen Bemerkungen aller Beteiligten gut bei der Stange gehalten.

Und ich? Naja, es geht. Aber so richtig meins waren die Urmel-Geschichten eh noch nie. Die ersten gab’s ja schon als ich klein war, aber ich habe in dem Alter lieber Madita von Astrid Lindgren gelesen oder die Nesthäkchen-Geschichten von Else Ury (die jetzt wahnsinnig altbacken aussehen) oder Jim Knopf. Aber das darf bei meinem Kindern natürlich gerne anders sein. Ich habe ja auch eigene Vorlieben entwickelt, die meine Eltern nicht teilen.

Aber der Evolutionsgedanke ist prinzipiell ganz gut untergebracht in der Geschichte. Die Veränderung der Erde und dass alles Leben auf einen Ursprung zurück geht. Das Verschwinden mancher Arten und das Auftauchen von neuen. Die Einordnung des Menschen in die Natur, als einen Primaten mit seinen Affenverwandten und -Vorfahren. Und vieles, vieles mehr.

Max Kruse: Urmel saust durch die Zeit
Thienemann Verlag, ISBN-13: 978-3522183536
Gebundene Ausgabe 12,95 Euro
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Fazit: Von der Biologie-Bildungswarte aus kann ich alle drei Bücher empfehlen. Über Evolution lernt man in jedem von ihnen was. Und unterhaltsam sind sie auch alle. Ob einem die Art des Erzählens und Erklärens liegt ist dagegen – wie immer – Geschmackssache. Also bitte: Reinlesen! Ausprobieren!

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Jedes Buch über Evolution ist anders. Es gibt welche für kleine und große Kinder. Es gibt Geschichten und Sachbücher. Es gibt Bilderbücher und Romane. Hier geht’s zu meiner immer länger werdenden Liste bisher rezensierter Kinder- und Jugendbücher über Evolution.

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8 Gedanken zu „Können Kinder Evolution verstehen? – Kinderbücher 2013“

  1. Ich finde es generell nicht schlecht auch über die Evolutionstheorie zu informieren, gibt es auch gute Informationen zur Kreationstheorie?
    jelidi andreas

    1. Sicherlich. Es gibt eine reiche Auswahl an Büchern über Schöpfungsmythologien aus allen Ländern und Religionen. Für Empfehlungen in dieser Richtung sind Theologen und Religionswissenschaftler aber die besseren Ansprechpartner, denke ich. Ich als Biologin kann nur Empfehlungen über den naturwissenschaftlichen Teil geben, sprich über den, der für alle Phänomene eine natürliche Erklärung sucht.

  2. Ok, danke.
    🙂

    Ich habe auch schon von biologischen Problemen zur Evolution gehört…
    bin aber kein Fachmann, wollte ich nur mal so anreißen.

    jelidi andreas

    1. Es gibt – wie in jedem anderen Forschungsgebiet – auch in der Evolutionsforschung Dinge, die noch nicht geklärt sind oder wo sich mal eine Annahme als falsch erweist. Das ist nichts, was falsch läuft, sondern der normale Gang der Wissenschaft. Das sind im Fall der Evolutionsforschung eher Detailfragen. Aber selbst wenn sich mal ganze Theoriegebäude als unhaltbar erweisen sollten, ändert das für einen Naturwissenschaftler nichts an der Grundannahme, dass alles mit rechten Dingen zugegangen ist. Er sucht dann einfach nach neuen natürlichen Erklärungen. Weil das halt die naturwissenschaftliche Herangehensweise ist. Wer übernatürliche Ursachen für die Entstehung des Lebens und des Menschen annimmt, kann das jederzeit machen, ist aber dann kein Naturwissenschaftler (mehr).

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