Von heimischen Dinos und ihrer unbekannteren Sippschaft

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Dieser Text erschien zuerst im Wissensblog der Nachrichtenseite von gmx, web.de und 1und1.   Da der Blogbereich dort jedoch im April 2018 eingestellt wurde, gibt es den Beitrag inzwischen nur noch hier.

Aus Knochenfunden lesen Paläontologen ja seit mehr als 150 Jahren wie die Dinosaurier aussahen und lebten. Letzes Wochenende ist mir mal wieder bewusst geworden, dass es gar nicht so selbstverständlich ist, wie viele wunderbar erhaltene Skelette es von ihnen gibt. Von der älteren Verwandtschaft der Dinos nämlich sind sehr wenige Knochen erhalten. Hier dürfen sich die Forscher vor allem mit Spuren im versteinerten Schlamm rumschlagen.

„Geheimnisvolle Saurierfährten aus der fränkischen Trias“ heißt die kleine Sonder-Ausstellung im Nürnberger Naturhistorischem Museum, zu der wir die Jungs letztes Wochenende schleppten. Für mich klang der Titel genau richtig für einen Familienausflug an einem kalten November-Sonntag. Die Jungs sahen das natürlich erstmal anders und rollten mit den Augen. Aber das tun sie immer, wenn sie das Wort „Ausflug“ hören. Als sie dann da waren, fanden sie doch das Eine oder Andere interessant. Wie immer…

NHM_Saurierspuren1Verglichen mit anderen Museen Nürnbergs ist das Naturhistorische eher klein. Es hat für mich auch, trotz der Stahl-, Glas- und Beton-Architektur, etwas seltsam aus der Zeit gefallenes. Ich glaube, das hat was mit der Mischung der Themen zu tun. Im Erdgeschoss ist das Haus Völkerkunde-Museum, im ersten Stock eher Heimatmuseum, mit seiner typischen Mischung aus Naturkunde und Archäologie.

Diese Kombi lässt mich gleich an gebildete Herren des 19. Jahrhunderts denken. Bei ihnen war die Kenntnis von Natur- und Kulturgeschicht der Heimat nämlich noch ein viel verbreiteteres Steckenpferd als heutzutage. Sie verband sich aber auch eng mit dem Interesse für fremde Länder und Sitten.

Herren mit Niveau kraxelten damals in ihrer Freizeit aus ganz an Gründen an Hängen herum als heute oft – etwa auf der Suche nach seltenen heimischen Käfern, die in ihren Sammlungen noch fehlten. Aber sie debattierten auch auf Spaziergängen mit ihren Studienfreunden über die Forschungsreisen von Ethnologen und Naturforschern.

NHM_Saurierspuren9Mit Bildungsbürgern wie diesen hat auch das Dino-Skelett im Treppenhaus zu tun, das uns auf dem Weg nach oben begrüßte. Es ist eine Rekonstruktion des ersten in Deutschland gefundenen Dinos, auf dessen Knochen ein Nürnberger Arzt 1834 bei seinen Naturforschungen in der Region gestoßen war.

Die Idee, dass es urzeitlichen Riesen-Reptilien gegeben hat, war damals noch ziemlich neu. Der Fund wurde dann auch zum weltweit erst siebten Dinosaurier, der einen wissenschaftlichen Namen erhielt: Plateosaurus engelhardti. Liebevoll und lokalpatriotisch wird er im Museum „unser fränkischer Lindwurm“ genannt.

Plateosaurus-Knochen wurden bis heute immer wieder bei Grabungen um Nürnberg gefunden, aber auch an anderen Orten in Deutschland, Frankreich und der Schweiz. Es ist DER mitteleuropäische Dino schlechthin und lebte in einem Zeitalter als der Aufschwung der Dinos gerade erst begann, in der Oberen Trias (vor 214 bis 204 Mio. Jahren).

Das Plateosaurus-Skelett im Treppenhaus ist Teil der Dauerausstellung im Museum und ein guter Vorspann zur Sonder-Ausstellung, denn für die heißt es: weiter und weiter zurück – in eine Zeit vor Plateosaurus, vor den ersten Dinos. Kaum geht man noch mal 22 Mio. Jahre tiefer in die Zeit zurück, ist man, schwupps, nicht mehr in der Oberen Trias, sondern in der Mittleren und Unteren Trias. Und damit in einer ganz anderen Welt.

NHM_Saurierspuren5Die Ausstellungsstücke fand ich auf den ersten Blick erstmal komisch… wieso sehen die Saurier-Fährten nicht wie Pfoten-Abdrücke aus, sondern eher als seien es die versteinerten Pfoten selbst? Statt in den Stein reingedrückt zu sein, kommen sie aus den Steinplatten heraus.

Zum Glück gibt es eine Tafel die uns über genau dieses Rätsel aufklärt. Danach kann man sich die Entstehung dieser Spuren-Fossilien so vorstellen: Ein Tier stapft durch den Schlamm am Rand eines Sees und hinterlässt Spuren. Als sie eingetrocknet sind, weht der Wind sandige Erde in die Abdrücke und füllt sie auf.

Nach dem Versteinern beider Schichten ist die ehemalige Tonschicht mit den Abdrücken weicher als die versteinerte Sandschicht und verwittert schneller. Daher sind urzeitliche Fährten vor allem in Form der Oberplatte erhalten, also in Form des Gegenstücks zum Abdruck. Das, was da ausgestellt ist, gleicht also dem, was man mit nach Hause nehmen kann, wenn man heute von der Spur eines Rehs im feuchten Waldweg einem Gipsabdruck macht.

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Dass es sich bei diesen uralten Abdrücken in Stein um Spuren von Reptilien handelt, war am Anfang gar nicht so klar. Die ersten dieser Spuren fand man 1833, also sogar noch ein Jahr vor Engelhardts Erstentdeckung eines Plateosaurus-Knochens. (Der gebildete Hobby-Naturforscher war übrigens diesmal ein Gymnasialdirektor aus dem Thüringischen.) Und wie bei den fossilen Knochen hatte man erst alle möglichen Tiere im Verdacht: Riesenbeuteltiere, Affen, Amphibien. Es hat bei den Spuren sogar noch viel länger gedauert als bei den Knochen, bis die Fachwelt sich darauf einigte, welche Tiere für diese Fährten verantwortlich waren. Erst ab 1925 setzte sich die Vorstellung von den Urzeit-Echsen als Verursacher durch.

Die ältesten dieser Fußabdrücke sind 247 Mio. Jahre alt. Dinosaurier gab es damals noch nicht. Die Tiere, die dort im Schlamm ihrer Zeit Spuren hinterließen, gehören also zur weiter gefassten Verwandtschaft. Diese große Gruppe wird Archosaurier genannt. Einige der Archosaurier entwickelten sich später zu den Dinos (und Vögeln), andere zu Flugsauriern, wieder andere zu Krokodilen.

Und wie gesagt sah die Welt damals erstaunlich anders aus. Die Kontinente, die wir kennen, gab es noch nicht. Man kann sagen, dass sie zu der Zeit gerade alle zusammenklebten. Denn die Landmasse bestand aus einem einzigen Riesenkontinent – Pangäa.

Und das Gebiet des heutigen Deutschlands lag schön mittendrin in einem trockenen, heißen Wüstenbecken ohne Verbindung zum Meer. Es fiel sehr unregelmäßig Regen, aber wenn er fiel, dann schüttete es monsunartig, so dass riesige Binnenseen entstanden, die dann langsam wieder austrockneten.

NHM_Saurierspuren7Die Bedingungen für die Entstehung von Körperfossilien in dieser Pangäa-Zeit im Mittleren und Frühen Trias waren sehr schlecht. Und im Bereich des heutigen Franken waren sie offenbar besonders schlecht. Jedenfalls fanden sich hier bis jetzt gar keine Skelette aus der Zeit. Nullkommanull. Für die Spuren, die man findet, heißt das: sie lassen sich keinen Skeletten zuordnen!

Aber was sind das dann für lateinische Gattungs- und Artnamen neben den Ausstellungsstücken?, fragte ich mich. Sind das etwa Namen, die allein aufgrund der charakteristischen Form der Trittsiegels vergeben wurden? Tatsächlich. Man kennt von diesen Tieren nichts außer der Spur. Rein gar nichts. Kein Skelett. Das ist ganz schön dünn, finde ich.

Wie die Jungs schon in den Kinder-Dinobüchern lernen, ist ja so ein Skelett auch schon unbefriedigend in vielerlei Hinsicht. Kann man ihm doch auch vieles nicht entlocken, was man gerne gewusst hätte über die Tiere. Die Färbung der Haut etwa. Auf den Bildern und in den Filmen ist die immer pure Fantasie. Und wenn etwas über das Verhalten der Tiere geschrieben wird, ist das auch oft nur Spekulation auf hohem Niveau.

Aber zumindest gibt so ein Skelett doch ganz gute Auskunft über Größe und Körperbau. Und man kann anhand des Gebisses sagen, ob es sich um einen Pflanzen- oder Fleischfresser gehandelt hat. Wahrscheinlich kann man noch hunderte andere Aussagen aus Skeletten ziehen. Ich bin da wahrlich keine Expertin.

Aber aus einer Spur alleine?

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Bei diesem Trittsiegel ist sogar die Struktur der Haut erhalten geblieben.

Den Paläontologen ist auch klar, dass sie damit wenig in der Hand haben. Aber das ist natürlich nicht ihre Schuld. Und sie tun ihr Bestes. Was sollen sie auch machen? Also saugen sie aus diesen Spuren so viele Informationen, wie es nur geht. Und sie gehen dabei genauso vor wie ein heutiger Jäger, der die Fährten seiner Beute liest.

Professionelle Ichnologen – also Fährtenleser (nach dem griechischen Wort ichnos für Fußstapfen) – können aus Spuren unglaublich viel lesen – Geschlecht, Gewicht und Art der Bewegung etwa. Bloggerkollege Zauner von Panagrellus hatte gerade hier und hier einen spannenden Bericht darüber, wie heutige Jäger aus Afrika Archäologen helfen, uralte menschliche Fußspuren in Höhlen zu analysieren.

Jedenfalls – und darauf wollte ich hinaus – können auch Palichnologen (also die Paläologen, die sich auf die Untersuchung von fossilen Spuren spezialisieren) erstaunlich viele Informationen aus den Archosaurier-Abdrücken holen. Beispiel: Je größer der Abstand der Abdrücke, desto länger müssen die Beine des Tieres gewesen sein. Und je tiefer es einsank, desto schwerer war es. Die Art der Belastung beim Abrollen des Fußes sagt etwas über die Gewichtsverteilung des Körpers, etwa wie das Verhältnis von Kopf zu Schwanz des Tieres gewesen sein könnte.

Und es gibt sogar noch härtere Fakten als diese. Denn auch für Laien wie mich ist natürlich erkennbar, dass die Fährten sich in der Form der Füße unterscheiden und darin, auf wie vielen Füße die Tiere gingen. Lief da ein Tier auf vier Füßen wie ein Hund oder auf zwei wie ein Vogel oder Mensch? Und wie viele Zehen hatte es? Fünf, vier oder nur drei?

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So lässt sich trotz des Mangels an Skeletten doch noch so einiges sagen über die Entwicklung der Archosaurier in dieser Zeit. In älteren Schichten finden sich mehr 5-zehige Tiere, die auf allen 4 Beinen liefen. In jüngeren Schichten kommen einige von ihnen dann nicht mehr vor. Stattdessen aber tauchen zunehmend Spuren von Tiere auf, die auf nur zwei Beinen gingen und nur 3 Zehen hatten – wie die späteren Dinosaurier eben.

Ich geb’s zu, das ist mehr als ich spontan vermutet hätte, was aus solchen Spurenfossilien überhaupt rauszuholen ist. Trotzdem würde ich den Paläontologen wünschen, dass sie mal das Skelett eines Fährtenverursachers finden, der ihnen den Gefallen getan hat, mitten in seiner Spur zu verenden. Ich wünsch‘ Ihnen nur einmal zur Abwechslung einen Fund, wo ein Archosaurier es mal nicht bis durch den Schlamm schaffte, sondern vorher sterbend zusammenbrach. Und dann wünsch ich ihnen noch der Zufall dazu, dass das unter Bedingungen geschah, die mal nicht ganz so ungünstig für die Skelett-Erhaltung waren wie sonst in dieser Trias-Wüste.

Aber als Science-Fiction-Afficianado muss ich auch sagen: Zeitreisen wären noch cooler. Das finden die Jungs natürlich auch. Eine kleine Zeitkapsel (natürlich meteroritensicher), in der man durch ein Bullauge ein paar Millionen Jahre im Zeitraffer erleben kann. Da wäre ich sofort dabei. Und ich wette die Paläontologen auch. Sich mal diese Urzeiten anschauen fahren und sehen, ob die Forschung recht hat mit all dem, was sie bis jetzt aus dem mehr oder wenig spärlichem Material rausgelesen hat, die die Zeiten überdauert hat.

Das wäre es doch, oder?

P.S. Wer sich die Ausstellung noch ansehen will, muss sich sputen, denn sie läuft nur noch bis Ende Dezember 2013!

P.P.S. Dass ich mal wieder den Weg ins Naturhistorische Museum in Nürnberg gefunden habe, hat auch mit Hans Zauners Reise durch deutsche Naturkundemuseen zu tun, über die er seit einigen Wochen in seinem Blog Panagrellus schreibt. Die macht einem nämlich richtig Lust auf diese Art von Museen, finde ich.

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